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Sunday, 12. February 2006

jobs:

Jobs – Work in Progress

Im Gedenken an Tom Dreyer


Vorwort: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.

„Patchwork-Biographie nennen bezahlte Klugscheißer die Liste von doofen Jobs, die man zu überstehen hat. Man gilt als flexibel und widerstandsfähig, aber die meisten Jobs tauchen im Lebenslauf erst gar nicht auf. Wer sich um eine feste Arbeitsstelle bewirbt, würde doch eher seine WG als kulturelles Projekt verkaufen als zuzugeben, woher die eigene Kohle die Jahre vorher wirklich kam. Ohne die Schattenwirtschaft wäre man an vielen Stellen doch einfach verhungert und das Arbeitsamt hätte erfreut einen Posten von der Liste gestrichen. Ohne Schwarzarbeit wäre manches Mal selbst das Toastbrot bei Aldi zu einem festen Posten im Budget geworden und etwas anderes als Schwarzarbeit kann man doch kaum noch erwarten.“ Der Mann vom Arbeitsamt sieht mich entsetzt an, aber ich habe gerade erst angefangen. Ich beschimpfte den Mann mit dem Goa-Poster im Büro noch ein wenig weiter. „In der Unterwelt gibt es dagegen doch immer Arbeit. In vielen Regionen Deutschlands ist das organisierte Verbrechen zum wichtigsten Arbeitgeber geworden. Wer nichts wird, verkauft Haschisch auf dem Schulhof oder steigt bei der Türsteher-Mafia ein. Und wer mochte einem jugendlichen Kleinkriminellen noch ins Gewissen reden, wenn sich die internationale Manager-Elite öffentlich wie eine Bande Straßenräuber benimmt. Zudem die Mafia durchaus für eine soziale Absicherung sowie Respekt und Anerkennung im eigenen Umfeld sorgt. Und da kommen Sie mir mit dieser ‚Haben sie denn auch im Internet richtig geguckt’-Scheiße?“

Der Mann vom Arbeitsamt war mir hilflos ausgeliefert. Wir verabredeten trotzdem ein neues Treffen zu einem späteren Termin und ich bekam meinen Stempel. Nichts als Formalitäten und das alte Rein-Raus-Spiel mit der Selbstständigkeit. Der Mann vom Arbeitsamt hatte da aber doch noch eine Idee. Er kramt das Job-Angebot einer holländischen Firma hervor, die Rasenmäher herstellt und einen Schlußredakteuer für ihr Kundenmagazin zu suchen schien. Ich mache ein paar Witze, dass man die Intellektuellen demnächst im Namen von Hartz IV zwangsweise nach Holland abschiebt, aber er versteht mich nicht. Er will sich auch nicht mit meiner Biographie beschäftigen oder verstehen, wovon ich rede. Der Mann vom Arbeitsamt macht auch nur seinen Job. Er hält sich warm und wartet auf die Mittagspause. Wer mochte es ihm verdenken.

Mein erster Job für Geld war eher unbedeutend. Im Sommer 1985 fuhr mein Freund Andreas für drei Wochen in den Urlaub und überließ mir seinen Job als Zusteller eines kostenlosen Wochenblattes namens „Weser Report“. Für eine Zeitung aus der Provinz spielte das Blättchen zwei Jahre später eine interessante Rolle in der Barschel-Affäre, aber zu diesem Zeitpunkt war der „Weser Report“ nichts weiter als eines dieser Anzeigenblätter, derer man sich nur mit „bitte nicht“-Aufklebern erwehren kann und die einem ständig die Treppenhäuser überfluten. Ein Standardjob für Schüler. Andreas wies mich ein und nannte mir sofort die problematischen Kandidaten. Vier Adressen sollten unbedingt beliefert werden weil es Menschen gab, die sich beschwerten, wenn sie das Blatt nicht im Briefkasten hatten. „Einer wartet sogar hinter der Tür auf die Zeitung,“ wurde ich gewarnt. Ich bekam meinen Haufen Zeitungen vor die Tür geschüttet und zog los. Es begann zu regnen, aber ich erledigte den Job ohne große Probleme. Bei der dritten Tour wurde ich nachlässig und ließ ein paar Nebenstraßen aus. Wenig später bekam ich meine eigene Tour und hatte meinen ersten festen Job. Jeden Sonntag verteilte ich rund um den Vegesacker Hafen und quer durch die Fußgängerzone den „Weser Report“. Je mehr es regnete, desto häufiger wanderte ich zunächst zum Altpapier-Container und ließ immer mehr Straßen links liegen. Wenn man die variierte, konnte man viel Zeit sparen und es fiel auch nicht weiter auf. Sehr schnell lernte ich, dass meine Arbeit vor allem ein unauffälliges Entsorgen von Altpapier war, eine Erkenntnis, die mir viele Jahre später noch sehr nützlich sein würde.

Der Job nervte. Das frühe Aufstehen am Sonntag und der ständige Nieselregen der Region kotzten mich noch mehr an als der karge Lohn. Man kam in ein Alter, wo man Samstagnacht zum Tag machte, wofür ein wenig mehr Taschengeld immer willkommen war, aber der regelmäßige Job am frühen Sonntagmorgen passte nicht so recht in den neuen Lebensentwurf. Ich war bereit, die Ferien zu ackern, wenn ich dafür den Rest des Jahres einem Mädchen eine Cola ausgeben konnte. Wenn man aus Bremen-Vegesack kam, gab es da traditionell zunächst nur eine Lösung: den legendären Vulkan dessen Ausdünstungen man an jeder Ecke atmete.

Es war einmal eine Zeit, wo es den Vegesackern richtig gut ging, damals als man noch vom Strandgut leben konnte. Der Name Vegesack ging auf die leer gefegten Hosentaschen des Vegesacker Jungen zurück, der dem Ort als Symbolfigur dient. Die Matrosen legten früher nach Wochen auf hoher See am Hafen an und binnen 24 Stunden hatten sie ihre Heuer in den Kaschemmen am Utkiek versoffen. Als das traditionelle Piraten-Business nicht mehr so gut lief, fing man mit dem Bau von Schiffen an. Vegesack beherbergte einst den ersten künstlich gebauten Hafen und die größte Heringsflotte Europas, ein kauziges Städtchen mit großer Vorliebe für Piraten, Schnaps und Seemannsgarn, die sich immer an der Seefahrt orientiert hat. Man stellte Taue, Segel oder Schiffsproviant her und kaufte den Piraten ihre Beute ab. Vor 400 Jahren war dieser Ortsteil von Bremen-Nord zusätzlich eine Metropole des Walfangs. Die historischen Hafenkneipen und ein riesiger Walkiefer aus Bronze an der Weserfähre zeugen heute noch von abenteuerlichen Grönlandfahrten.

Die Vulkan Werft war seit 1893 die wichtigste Arbeitgeberin in Bremen. Auch die Ölscheichs aus Saudi Arabien ließen sich dort ihre Yachten bauen und die Rüstungsschmiede in Lemwerder lag gleich gegenüber. In alten Zeiten ging man zum Vulkan, wurde Mitglied in der Gewerkschaft, kämpfte um Tarife oder die 35-Stunden-Woche und am 1.Mai ließ man den Bundeskanzler einen guten Mann sein. Auf dem Vulkan gab es immer was zu tun und auch ungelernte Kräfte wurden problemlos in das Gefüge integriert. Niemand schämte sich seines Arbeitsplatzes und das soziale Umfeld war fest abgesteckt. Man blieb wohnen, wo man geboren wurde. Der Arbeitsplatz war eine Ersatzfamilie wie man es auch von Ortschaften rund um große Autowerke oder Siedlungen im Ruhrgebiet gewöhnt ist. In den Siebzigern konnte man mittags noch Hausfrauen mit Henkelmännern voll Suppe am Werkstor stehen sehen. Der Vulkan war identitätsstiftend und ob einer aus der Türkei kam, war dabei nicht so wichtig. Vulkanese war Vulkanese und alle für einen.

Wer nicht auf dem Vulkan arbeitete, sorgte für die Grundversorgung der stolzen Vulkanesen, die jeden Stapellauf mit einer großen Party begingen. Wenn alle paar Jahre endlich einer der riesigen Ozeanriesen vom Stapel lief, war die ganze Region auf den Beinen. Stapellauf war für Vegesack besser als Fußballweltmeisterschaft und Weihnachten an einem Tag, eine Art proletarische Love Parade für die ganze Familie. Man machte Picknick an der Weser, schüttete sich ein paar Biere in den Kopf und schnitt vor dem eigenen Nachwuchs ein wenig auf.

Mitte der Achtziger war der Vulkan aber keine wirkliche Option mehr. Als Dr. Friedrich Hennemann das Unternehmen 1987 übernahm, arbeiteten rund 8000 Vulkanesen in den Docks. Das Unternehmen hatte nach dem 2. Weltkrieg wirtschaftlich nie groß über die Wesermündung hinausgedacht und war längst auf finanzielle Spritzen öffentlicher Institutionen angewiesen. Mit Hennemann schien es wieder aufwärts zu gehen. Vor allem die Eingliederung der ostdeutschen Werften nach der Wende, ließ die Mitarbeiterzahl auf 25000 an mehr als 50 Standorten in die Höhe schnellen. Hennemann und seinen Strategen ging die Phantasie durch und ab 1990 gab das Management nur noch esoterische Zukunftsvisionen von sich, die mit der Arbeit in den Docks nur noch wenig zu tun hatte.

"Das kommende ozeanische 21. Jahrhundert wird die Ozeane immer stärker in das öffentliche Bewusstsein bringen. Gerade maritime Ressourcen als Medium für Seeverkehr, Quelle für Nahrung, Rohstoffe, Energie und Trinkwasser sowie als Räume schwimmender Produktions- und Wohnanlagen und als Faktor globaler Umweltprozesse werden immer bedeutender. Der Bremer Vulkan Verbund hat sich aus einem Werftenverbund zu einem maritimen Technologiekonzern entwickelt." (Dr. Friedrich Hennemann 1994)

Der Vulkan wurde in den Neunzigern zum Inbegriff von schlechtem Management, verfehlter Wirtschaftpolitik und einer katastrophalen Moral seitens der Kontrollorgane, die eine Pleite lange hatten kommen sehen. 1995 konnte der Vulkan so langsam nicht mehr zahlen während man in der Chef-Etage munter „Global Player“ spielte und ganz Vegesack als Weltkonzern verkaufen wollte. In den kleinen Piratenkneipen rund um das Hafenbecken schüttelte man den Kopf und zählte nach ob man sich das nächste Bier noch leisten konnte. 1996 ermittelten Bundeskriminalamt und die Treuhandnachfolgerin BVS wegen des Verdachts der Untreue gegen Dr. Hennemann, der auf Druck der Banken bereits im September 1995 zurückgetreten war. Zusammen mit seinen Spießgesellen hatte er rund 850 Millionen DM in die zentrale Konzernkasse gepumpt, die für ostdeutsche Werften bestimmt waren. Am 21. Februar 1996 wurde das Konkursverfahren gegen den Bremer Vulkan eröffnet, der zu diesem Zeitpunkt 22.800 Mitarbeiter hatte. Am 15. August 1997 wurde das letzte Schiff vom Stapel gelassen und zum 1.Oktober wurden sämtliche Mitarbeiter der Stammwerft in Vegesack entlassen.

„Stirbt der Vulkan, stirbt der Norden“, lautete die Losung in Bremen-Nord, aber ganz so schlimm sollte es nicht kommen. Eine Reihe von Vulkan Verbund Betrieben hat überlebt und konnte in Nachfolgegesellschaften verwandelt werden. Gutes Krisenmanagement hatte eine Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt verhindert. Ausnahmsweise hatten Konkursverwalter, Politiker, Behörden und Gewerkschaften an einem Strick gezogen. Ein Jahr später arbeiteten wieder 1000 Menschen auf dem Gelände der ehemaligen Werft.

Bremens strukturprägende Industrie war trotzdem verschwunden. Dr. Friedrich Hennemann trug einen großen Teil der Schuld am Untergang des Vulkans, aber ihm zur Seite standen Menschen, die seine fragwürdigen Utopien vom „ozeanischen 21. Jahrhundert“ abgenickt und ihren Anteil an der Beute erhalten hatten. Nur kurze Zeit nach dem Ende der Traditionswerft entwarf man in Bremen bereits neue Visionen mit schillernden Verkaufskonzepten, die ähnlich hanebüchen wie die von Dr. Hennemann waren. Diesmal war die Rede von Freizeitparks und Musicals, die Touristenströme garantieren sollten, aber die Ergebnisse waren am Ende mehr als kläglich. Nach endlosen Verzögerungen eröffnete Anfang 2004 sogar der Bremer „Space Park“, ein Einkaufszentrum mit Rakete im Foyer. Problematisch war nur, dass man für die gewaltige Fläche keine Mieter fand. Die angeschlossene Weltraumerlebniswelt konnte zwar mit der größten Indoor-Achterbahn der Welt protzen, diese war aber gleichzeitig auch die kleinste Achterbahn der Welt an sich. Und was hatten Einkaufszentren und eine Achterbahn überhaupt mit dem Weltraum zu tun?

Auch Vegesack bekam um die Jahrtausendwende ein neues Einkaufszentrum mit den üblichen Billigmärkten,ein hässliches Betonmonster mit dem Namen „Haaven Hööft“. Der Name sollte an die maritime Tradition anschließen und die Eröffnung wurde mit großer Spannung erwartet. Für eine handvoll Arbeitsplätze der untersten Kategorie hatte man das maritime Filetstück am Vegesacker Hafen geopfert. Nun versperrte ein Betonklotz den wehmütigen Blick über das Hafenbecken, die Weser und das Schulschiff Deutschland, was in Vegesack dauerhaft vor Anker liegt.

In Vegesack bekommt man inzwischen keine „Arbeit“ mehr, man bekommt einen dieser McJobs. Man geht keine lebenslange Ehe mit einem Betrieb mehr ein und bekommt auch keinen tariflich geregelten Lohn. Eher landet man an der Kasse oder hinter der Info-Box eines Großmarktes, der an einem Betriebsrat und festen Arbeitnehmerverhältnissen kein Interesse hat. Oder man wird kriminell.

Und kein Job dauert ewig, aber die Möglichkeiten im Wohnort der Erzeuger sind beschränkt. Dafür gibt es heute Internet. Um eine gewisse Selbstständigkeit kommt niemand mehr herum. In dieser Hinsicht hat meine Generation den Vulkanesen was voraus. Wir mussten den Bienenstock verlassen und weltweit unsere Fühler ausstrecken. Schönes, neues Europa. Aber immer noch besser in die Fremde zu gehen als für immer zu zweifeln, ob es nicht auch ganz anders hätte laufen können.

Weiter zu Kapitel 1!


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English Info

Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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