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Sunday, 25. April 2004

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GRAEFEKIEZ BEI NACHT - DAS GESPENST DER TRENDISIERUNG GEHT UM IN KREUZBERG

Es ist 4:30 am frühen Sonntagmorgen und Karaokemonster hat es diesmal eindeutig zu weit getrieben. Polizei, Nachbarn und Musikliebhaber begehrten Einlass zu jener Party in der Dieffenbachstraße, die den gesamten Greafekiez um den wohl verdienten Schönheitsschlaf brachte. Wo es laut ist, lässt man sich gern nieder, vor allem, wenn man nebenan wohnt und sowieso nicht schlafen kann wenn eine handvoll volltrunkener Friseusen "Eternal Flame" von den Bangles durch die leicht sommerliche Nacht krakeelten. "Du willst sischer wasch von die Ramones, eh?!", fragte Karaokemonster mit seinem unverkennbar französisch klingenden Ami-Deutsch. "Nein, ich will meine Ruhe oder zumindest heute nacht noch ficken," brüllte ich während alte 68Innen die Superstar-Hymne "We have a dream"( oder so...) anstimmten. "Das ist von Dieter Bohlen! Dafür schmort ihr in der Hölle," schrie ein anderer Nachbar, aber die Chorleiterin steckte ihm nur die Zunge heraus.

"Das ist bestimmt weil die Gegend jetzt so trendy ist," gab ich zu bedenken. "Da drehen die Leute alle durch und müßen auf sich aufmerksam machen." "Stimmt," sagte der Nachbar und zauberte zwei Zigaretten aus dem Schlafanzug. "Früher hätte es das nicht gegeben." "Da gab es auch Lost in Translation noch nicht und alle haben meinen Freund Hanno ausgelacht, wenn er Karaokeparties machen wollte. Jetzt braucht man ohne so'ne Maschine keine Party zu machen." "Wir machen auch Karaoke beim Polizeifest," meinte einer der Bullen, der auch nicht sonderlich begeistert von den Darbietungen war. "Könnt ihr die Bude nicht einfach räumen lassen," fragte ich. "Die Polizei ist auch nicht mehr das, was sie mal war." "Nee, geht nicht," meinte der Herr Polizist und murmelte noch etwas von einflußreichen Persönlichkeiten, die irgendwo besoffen in der Ecke lägen. Der Nachbar schwenkte die Sonntagsausgabe des Tagesspiegels, die ein, vom Lärm angelockter, Verkäufer im Treppenhaus vercheckt hatte. "Und dann das, schon wieder so ein Kiez-Ranking und wir sind nicht mal aufgeführt. Eine Schande ist das." Und tatsächlich, ganz Kreuzberg war im neuen Sozialindex der 298 Berliner Kieze in den Kiezen Mehringplatz (Platz 293), Moritzplatz 296), Mariannenplatz (297), Wiener Straße (290), Zossener Straße (271), Südstern (275) und Viktoriapark (264) zusammengelegt. Die gleiche Zeitung ergötzte sich auch über den Niedergang an der Ecke Schlesiche Straße, wo neulich "Bourne Identity II" im San Remo abgedreht wurde und das Gesindel von MTV und Universal seine Zelte aufgeschlagen hat. Da konnte man jetzt nicht mehr hingehen, ganz klar. "Gehört die Schlesische noch zum Mariannenplatz oder eher in den Bereich Wiener Straße?" "Ist doch egal," sagte ich, wohlwissend, daß der Graefekiez demnächst Objekt eines ähnlichen Artikels sein würde. Dann würde es sicher um die aufgerockte Graefestraße gehen, die inzwischen eine ansehnliche Zahl von Nachtlokalen beherbergte. Auch der erste Gastronomenkrieg war auf vollen Touren. Georgie, der erst kürzlich seine Lounge vis a vis der allseits beliebten "Mathilda Bar" eröffnete, überzog die Konkurrenz täglich ab 22 Uhr mit nachbarschaftlichen Anrufen um das Publikum abzuziehen. Georgie gehörte schon allein deswegen boykottiert und man konnte sich ja immer noch jederzeit in die Minbar zurückziehen, wenn man es spät nachts von der Mathilda nicht mehr bis zur Ankerklause schaffte.

Überhaupt sollte man nach 22 Uhr auch nicht mehr auf der Straße rumbrüllen, wenn man die 30 überschritten hat. Und man sollte auch keine Karaokeparties bei offenem Fenster machen, aber wahrscheinlich stand demnächst in der Sonntagsausgabe der "New York Times" zu lesen, daß der Graefekiez "famous for great karaoke and incredible bars" wäre. Kurz danach die nächste Invasion frustrierter Exilanten , die der kulturellen Leiche New York entkommen wollen. Dann baut Microsoft am Eck ein Hochhaus, Walt Disney übernimmt die Boutique und MTV dreht eine authentisch reale Reality-Show mit den Jungs, die den ganzen Tag vor dem Getränkemarkt rumlungern. In is out and being out means being in.

Es genügt in Berlin ja nicht zur richtigen Zeit im richtigen Teil der Stadt zu wohnen, nein, auf die Ecke kommt es an. Trendbewußten Mitmenschen sei deswegen alle vier Monate ein aufwendiger Umzug empfohlen um Schritt zu halten. Eröffnet wegen mir noch drei "coffee to Go"-Imbisse, aber bitte, bitte hört auf mit diesem Karaoke-Geplärre. Bitte.

Being Bill Murray. Der Fernseher zuckt noch. Ein Spätfilm oder ist das schon ein Frühfilm? Van Damme gibt allen was auf die Glocke. Richtig so! Irgendwo waren doch noch diese Ohrenstöpsel, die ich auf Konzerten immer verlacht hatte....


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 7984 days.

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English Info

Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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