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Sunday, 20. October 2002

MUSIK:

Right Said Fred

Viele Leute hatten sich nicht zusammengerottet um Right Said Fred im altehrwürdigen Bremer Aladin zu huldigen und den Kollegen mit den wichtigen Wimpeln am Hals wurde ein früher Feierabend beschert. Die handvoll Publikum blubberte vor sich hin, blond, blaß und blutlos die Frauen und die Männer nicht mal für einen Schnurrbart verwegen genug. Leute, die sich mal wieder einen schönen Abend gönnen wollten und sich normalerweise nicht in einen finsteren Bikerladen wie das Aladin verirrten. Ich war nur aus Langeweile mitgekommen um nach neuen Opfern Ausschau zu halten oder mir ein paar Tumbler von der Hausmarke einzuschütten. Right Said Fred, diese beiden schwulen Glatzen, interessierten mich einen Scheiß, aber man hatte mir nicht mal erzählt, wo wir eigentlich hinfahren. Die Nacht war mit Leuten wie mir und hatte noch nicht mal begonnen.

Nachdem ich am Tresen den ersten Korb bekommen hatte, enterten Right Said Fred mit diversen Mitmachern in voller Divisionsstärke die Bühne. Man hatte eine aufwendige Show mit Tänzern, Lichtern und explodierender Dekoration erwartet, aber die Engländer lieferten stattdessen eine lausige Rock-Performance, die sich jedes Stadtfest zwei mal überlegen sollte. Man verzichtete auf Playback und hatte zwei Leute als arbeitslose Gitarrenständer aufgestellt. Einer von beiden, ein schlechter Klon wie er in keinem Buche glaubhaft wäre, stellte seine Klampfe immer wieder ab um noch etwas Whiskey aufzuschütten.
Wir grinsten die ganze Zeit. Der Auftritt war routiniert, aber die Leute waren zufrieden, obwohl man lieber eine aufwendige Playback-Show statt schlecht gestimmten Live-Rock gehört hatte. Da ich bereits genug im Kahn hatte, suchte ich nach der Tour-Managerin, erfand flugs den "Rock'n'Roll-Express", den ich ihr als "eine Tochterzeitschrift vom MusikExpress, aber eben für junge Leute verkaufte"und schon hatten wir eine Zugangserlaubnis für Backstageblock AA 23, wo ich mir weitere Hausmarken ausmalte, die nur auf mich warteten. Backstage wird mal wieder nicht gearbeitet und diverse überbezahlte Aufpasser kontrollieren gerade irgendwas um ihren Job zu behalten. "Wo wollt ihr hin ?" "In's Allerheiligste, uns was auf die Kante gießen, die Jungs warten schon." Ich blecke die Zähne. "Du hast hier sicher noch was zu tun. Da vorne stehen noch die Topteile und die Bassdrum. Seht zu, daß ihr den Bus ladet bevor Fred heute noch sauer wird."
Schrecklich, diese Wichtigtuer, die arbeiten alle nur wegen der Getränkebons in diesem Genre. Für den Rock-Journalisten gibt es kein schöneres Kompliment als vom Interview-Partner zu hören, daß man selbst ein schneidiger Typ sei und der Rest der Gilde keine Ahnung hat. Einfache Sache, um Komplimente war ich nie verlegen, wenn ich mir dafür nehmen konnte, was ich brauchte. Rob Brassford ist großzügig mit Sprüchen und Backstage-Getränken, wenn man ihm auf den Kopf zusagt, daß er da eine ganz schmierige Rock-Nummer abzieht, aber das garnicht so schlimm sei. Ich muß ihm nicht lange auf den Zahn fühlen um an die heißen Infos zu kommen, die ich später meistbietend verhökern konnte. Nette Typen, denke ich mir, aber schon so alt und noch so naiv. Nein, Pop wollen sie nicht sein, sowas denken sich nur die Medien aus und eben Leute mit Wimpeln, die keinen Feierabend finden können und sich dann irgendeine Ecke zum Bewachen suchen. "Halt, hier darf keiner hin, geheime Sache." Man vereinsamt ganz schön, wenn man für Tage in verschwitzten Umkleideräumen gefangen ist, der Tourbus zum Zuhause ohne Privatsphäre wird und man sich den ganzen Tag auf schnöselige Wimpel verlassen muß, die auf deine Kosten leben. Immer die gleiche Scheißstory. Vor kurzem habe ich mir in Amsterdam das gleiche Gesülze von Ray of Shelter angehört. Wein, wein, nach dem Konzert in's Hotel müßen, an die Zimmerdecke starren, weinen, keinen Rock'n'Roll mehr haben, niemand interessantes mehr kennenlernen und hinterher schlauer sein. Right Said Fred sind eine Rockband von Enddreißigern, die es schon eine kleine Ewigkeit gibt. Jahre der kargen Rockschuppen-Ernährung mit Käsebrötchen und Salzstangen liegen hinter ihnen. 1987 spielten sie bereits auf der Talentbühne beim New Yorker New Music Seminar, aber nichts passierte so richtig. Fred und Rob Brassford, die schwulen Aushängeglatzen, gründeten eine neue Existenz und eröffneten ein verrücktes Bodybuilding-Studio in London. Dort trafen sie dann auf Rob Manzoli, einen ausgemergelten Gitarristen, der nach 25 Jahren der Klampferei immer noch keinen ordentlichen Anschlag hinbekam, aber seinen neuen Kumpels dafür "I'm too sexy" auf den Leib schrieb. Richard's sinnliches Organ machte daraus einen fauchenden Ohrwurm, mit dem man alles auf eine Karte setzen wollte. Die Muskelbanken warfen genug Geld für ein happige Demo-Version von "I'm too sexy" ab und die fette Produktion lockte die Talenthaie in den Pool. "I'm too sexy" folgten "Deeply Dipply", "Don't talk, just kiss" und über 4 Millionen verkaufte "Up"-Alben. Right Said Fred waren in der harten Rotation und aus der einfältigen, aber ehrlichen, Rockband, war eine von diesen Eintagsblasen geworden, die von der Industrie bis auf den letzten Heller ausgeschlachtet werden. "Alle lieben mein Geld" singen Fred & CO dann auch selbst-ironisch auf der neuen Single "Everybody loves me", die auf ihrem eigenen Happy Valley-Label erschienen ist. Ich trank und wunderte mich.

Rob: Es war ja so, daß wir nach dem zweiten Album gar keine Chance mehr hatten. Wir hatten eine Menge Hoffnung in 'too sexy' gesteckt und danach ist einfach alles passiert. Wir fahren ganz oben in den Charts und waren glücklich, daß der Song so gut lief. Wir wollten weiter ein paar Gigs spielen und darauf aufbauen. Richard: Danach ist alles etwas außer Kontrolle geraten. Wir haben die Platte gemacht und dann haben wir drei Jahre dafür gearbeitet. Wir mußten drei Jahre Marketing machen und für diese ganzen Leute unser dummes Grinsen machen. Rob.Im Prinzip hatten wir gar keine Zeit um Musik zu machen weil man uns für diesen ganzen Mist verpflichtet hat. Das sind diese ganzen Bluthunde, die noch nie einen Teil der echten Rock'n'Roll-Arbeit getan haben. Die Typen von den Mayor-Labels könnten genauso gut Eiscreme verkaufen und sie würden nicht mal den Unterschied merken. DN: Viele verschiedene Sorten, für jeden Geschmack was dabei. Rob: Wir werden jedenfalls nicht mehr mit den selben Leuten arbeiten und deshalb auch das eigene Label. Richard: Eigentlich war es ja sogar so, daß wir gar keine andere Chance hatten weil uns niemand wieder unter Vertrag nehmen wollte. DN: Habt ihr euch so schlecht benommen ? Richard : Nein, aber, es ist die zweite Platte "Sex and Travel". Für viele Band wären die Verkäufe sehr gut gewesen, aber wir haben eben nicht so viel wie von der ersten verkauft. Man wollte natürlich, daß wir die erste Platte wiederholen und quasi noch mal aufnehmen. Dabei war die erste Platte nicht mal voll mit Sachen "so ähnlich wie 'too sexy". Es sind dann natürlich enorme Summen im Spiel,aber das ganze Geld geht eben in die Promotion und die Plattenläden kriegen dann Berge von Right Said Fred-Karton-Aufstellern, die gleich in den Müll wandern. Die Labels sind nicht verantwortlich dafür, daß wir im Radio gespielt werden und weil uns die Medien in England eben hassen, wurden wir sofort wieder fallengelassen. Es ist wie mit einem neuen Hamburger, der eine Weile getestet wird, aber dann konstant den gleichen Gewinn abwerfen muß um in's Programm aufgenommen zu werden. Die Labels interessiert nur das Geld und es ist ihnen egal, mit wem sie es verdienen. Rob: Wir wussten, daß wir wieder das ganze Line-Up der Band auf die Bühne bringen mußten um die Leute an uns zu erinnern. Eine Band ist live und nicht ein Jahr im Studio und dann zwei weitere Jahre in irgendwelchen Fernsehstudios. Als Band muß man spielen, spielen, spielen. Alles andere ist völlig bedeutungslos. Wenn du eine gute Band hast und daran arbeitest, wenn sie wirklich ihre Scheiße zusammen haben, dann ist es ganz egal, wer dich verkauft. Ich kann nur allen Bands empfehlen, daß sie sich selbst durchbeißen oder man wird sie in's Feuer werfen. Jeder kann seine eigene Platte rausbringen und der beste Freund macht immer besseres Marketing als so ein Abteilungsleiter für Unterhaltungsmusik. Aber das erzählt man den Leuten natürlich nicht. Die meisten Bands wissen nicht, daß die großen Summen, von denen immer die Rede ist, fast komplett in die Studiomiete und dort verzerrte Getränke wandern.
Rob: Wir sind Musiker und keine Marketing-Kasper. Und dann eben diese erste Deutschland-Tour, wo ich lieber nicht darüber reden möchte wie wenig Promotion man mit wie viel Geld machen kann.
Richard: Das Problem dabei ist aber auch die englische Presse, die realistisch gesehen aus zynischen Arschlöchern besteht. Ich meine nicht das Publikum und auch nicht die Punx. Wir haben immer gute Konzerte gespielt, während die Medien kleine Detektivspiele für sich veranstaltet hat und beweisen wollte, daß wir nicht wirlich unsere Instrumente spielen können. Wir wurden als ein Fake oder ein Witz aufgefasst und am Anfang lieben sie dich wie sonst niemanden und kriechen dir meilenweit in den Arsch. Dann kommt die zweite Platte, es gibt einen neuen Trend und alle wussten schon vorher, daß wir scheiße sind.

Dadurch, daß die zweite Platte sich musikalisch von der ersten absetzt, hatten sie es noch leichter weil die Medien nicht mehr in der Lage sind, Veränderungen zu begreifen. "Rockjournalisten wollen immer den selben U2-Akkord und auf Schicki-Parties gehen, wo sie dann mit Bruce Willis bekannt gemacht werden" merke ich an und ernte Scampi's strafenden Blick. Richard: Es geht nur um die Gnade ihrer Gunst, aber gerade in den Medien werden bald eine Menge Dämme brechen. Rob: Ich hab gerade mit Mick Jonses von den Clash geredet und er mag uns, Sting mag uns, George Clinton findet uns gut, Faith No More findet uns gut, Madonna will Richard in's Bett zerren,... "Also müßt ihr gut sein !" Rob: Nein, aber das sind Urteile von ernstzunehmenden Musikern und es hat nicht soviel mit Stars zu tun. Richard: Wir wollen vom dummen Witz wieder zu unseren Wurzeln. Wir haben auch nicht wirklich so viel Rollen-Potential, daß diese Werbeabteilungen noch länger die Lederclowns mit Glatze aus uns machen konnten. Und außerdem gibt es die Band dafür schon zu lange und wir arbeiten uns wirklich den Arsch ab.

Eine mitleidserregende Story. Larry von Vicious Rumor betritt den verschwitzten Raum und klagt sein Leid. Den Abend vorher hat er mit Accept das Haus gerockt und sucht verzweifelt nach Rauchwaren für den Eigenbedarf. Larry fällt mir fast um den Hals als ich für ihn einen kleinen Nugget aus einer meiner Taschen zaubere. Oft genug haben mir Leute auf Tour schon ausgeholfen und ich dachte, daß ich mal etwas zurückgeben konnte . Larry erzählt von seinen ersten sechs oder sieben Tours durch Europa und läßt sich für später alle angesagten Kneipen im Viertel aufschreiben. Bei der nächsten beinharten Vicious Rumor-Tour soll man sich unbedingt melden. Whiskey satt und so.

Der Handyman betritt die Szene und droht das Ende an. Das Equipment ist geladen, der Reiseleiter-Wimpel will in's Bett, die Popstars sollen endlich ihr Bier austrinken und nicht einfach nur rumsitzen und reden. Rob nuckelt noch an seiner Flasche. Die Halle ist ausgefegt. Larry wankt irgendwo herum und sucht noch Anschluß bei den Thekenkräften. Die Jungs müßen in ihren Reisebus klettern und winken noch mal traurig durch die Scheibe.

Würdelos!


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Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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