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Sunday, 20. October 2002

PERSONEN:

Peter Bagge - Comiczeichner

Peter Bagge ist ein verrückter Typ von ausgeprägtem. Stilbewußtsein. "Bölkstoff" entlarvt er sofort als billig süßes Gesöff. Den dazugehörigen Brösel, Bügelflaschen-Vortrinker, der um die Ecke mit seinem stinkenden Motorrad um Aufmerksamkeit heischt, finden wir beide reichlich shocking. "Aber ich wünschte, daß jemand ein Buddy Bradley-Bier rausbringt, was tatsächlich schmeckt." Peter lacht sein meckerndes Lachen. Kollege Dan Clowes hat immmerhin schon eine Cola-Dose mit einer seiner X-kompatiblen Trauerminen verzieren dürfen. Die Zielgruppe bevorzugte zu dieser Zeit aber gerade Virgin-Cola, Pepsi's next Generation und hier dürfen sogar Spacken wie die H-Bloxx auf die Dosen. Das Interesse an der aufwendigen Verpackung mit teuren Holo-Covers oder die Summe von Merchandising-Lizensen überwiegt auf dem Hamburger Comic-Salon gegen jegliche Form von Inhalten. "Die häufigste Frage, die ich zur Zeit kriege, ist die, ob es nicht bald einen Hate-Film oder kleine Plastik-Punker von mir gibt damit man die Bradleys dann auf dem Teppich gegeneinander antreten lassen kann." Wir reden über Musik, schmutzigen Rock'n'Roll, während das laue Treiben des Salons an uns vorbeirauscht. Peter Bagge hatte sich das auch anders vorgestellt, aber er kann darüber lachen. In den Achtzigern war der zornige junge Mann plötzlich aufgetaucht und prägte seine expressionistischen Super-Glubberaugen mit unendlich verzehrbaren Gliedmaßen und eine wahnwitzige Form von Cartoon-Gewalt. Frühe Arbeiten wie die Serie "Martini Baton" mit Dave Carrino zeugen von Pete Bagge`s wilder Zeit in New York, wo er seine Punk- und Kunstschul-Zeiten erlebte.

Bagge gehörte zu den jungen Krakeelern, die 1978 nichts mehr vom Formalismus und altbackener Kunstgeschichte hören wollten und sich mit modernen Mythen in den Massenmedien beschäftigten. Niemand wusste mit dem Vermächtnis von Pop-Art etwas anzufangen, New York lebte den Mythos der 60er, Velvet Underground, Suppendosen und Filme mit schüchternen Intellektuellen, die auch die sonnige Manhattan-Skyline an einem klaren Frühjahrstag nicht glücklicher wurden. Alles war aufgewacht und die Party vorüber. Peter Bagge, Dace Carrino und Helen Keller hausten in einer schmuddeligen WG, trugen Sonnenbrillen vor dem Fernseher und trieben sich auf Konzerten rum von denen Woody Allen sagte, daß "man immer das Gefühl hatte, daß die Musiker gleich Geiseln nehmen würden." Es wurde viel getrunken und der "WG"-Strip um die Partyhopperin Martini Baton erschien demzufolge erst 1982. Punk hatte nach seinem authentischen Ende eine Menge Wellen ausgelöst. Die konventionelle Kunst hatte ausgedient und wenn Kixen's tvuzk auch heute noch auf Kunstschulen gesagt bekommt, daß Warhol kein Künstler war und er sich ein neues, älteres Thema suchen soll, so war der popmoderne Altag schon lange Realität bevor verknöcherte Rollkragen und schlecht sitzende fette Anzüge überhaupt davon gehört hatten.

Star Wars und Kiss wurden die ersten großen Multi Mania-Hooks für ein verdrehteres Bewußtsein. George Lucas verdiente sich dumm und dusselig an den Andenken zum ersten großen Film des Rebellen-Genres. Es gab keine Merchandising-Lücke, die nicht von der Macht erfasst worden wäre. Kiss gingen deutlich subtiler vor und verkauften ihre eigenen Identitäten zugunsten einer vollkommen neuen Mischung von Rocktheater, die sich mühelos auf alle Medien und Werbeartikel aller Art übertragen ließ. Kiss lebten in einer eigenen Comic-Welt, die von vier Typen mit der Mission zu rocken gilt. Monster, Space Opera, Mystery, lasziven Sex und immer wieder die bombastischesten Mega-Inszenierungen, Kiss waren ihrer Zeit weit voraus und hatten David Bowie's Rollenspielchen zu Ende gedacht. Kiss spielten nicht die Monster. Kiss waren die verdammten Monster ! Mit Kiss und Star Wars erlebte die Pop-Kultur ein kurzes Hoch, was sich nicht zuletzt in den Comics niederschlug. Kiss waren die Helden in zwei Specials, die gerade neu verlegt wurden und spielten sich selbst als Superhelden im legendären "Kiss fight the phantom of the park". Kiss zertrümmerten die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und stellten die Illusion wieder auf den Trohn. Es war nicht wichtig, was man tat, so lange man dabei mächtig unnahbar cool rüberkommt. Entdeckt wurde man dann immer noch, ganz egal wofür. Die Comics waren aber noch nicht bereit für das volle Potential ihrer Möglichkeiten. Wo ein Straßenheld wie Keith Haring sehr schnell in die Galerien fand, taten sich die jungen Cartoonisten schwer. Den meisten waren Kiss und Punk egal und sie wollten den Hulk zeichnen. Gegenüber hing eine neue Generation von Underground, die sich von der ersten Generation um Robert Crumb und anderen Sixties deutlich absetzten. Peter Bagge und Konsorten sahen verächtlich zu wie man aus Punk-Werten das zynische Hard Edge-Attitude zurechtzimmerte und die Achtziger mit zynisch arroganter Hirnlos-Action vollpumpte. Es zählte nur noch künstliche Simulation , die Pseudo-Realität von X-Men bis Glücksrad, die uns Erfahrungen "wie im Kino" suggerierte und schmackhaft machte. Die Yuppies hatten vom Rock'n'Roll-Swindle offenbar auch so einiges gelernt und es herrscht noch immer eine Atmosphäre schneller Abzockerei mit beschissenem Scheißdreck bis alles zu Tode recyclet war. Von der Phantasie der Kiss-Inszenierungen war man weit entfernt.

Anfang der Neunziger entdeckte man die verrückten Punker wieder und versprach sich von diesem Retrovival noch einen letzten Profit bevor sowieso nur noch totale Künstlichkeit angesagt war. Und so stießen alte Weggefährten wieder auf Jurassic Punx wie Peter Bagge. Pech für die Yuppies, daß die Punkerleiche noch lebte, die sie da fleddern wollte.

Peter Bagge hatte irgendwann die Liebe seines Lebens gefunden und es verschlug ihn von der Ostküste nach Seattle, eine Hafenstadt mit nieselig mildem Klima unter einer Waldanhöhe und guter Infrastruktur an verqualmten Live-Kneipen. New York versumpfte langsam aber sicher zum Mythos mit Prothesen und die kulturelle Szene hatte sich selbst einen festen Zug in die Ernsthaftigkeit verschrieben. Peter Bagge wurde derweil neuer Herausgeber von Robert Crumbs "Weirdo"-Magazin und schon sehr früh zeichnete sich die Generationsablöse ab. "Sie hatten mich damit schon sehr früh" sagt Peter und nippt am Bier, während unsinnige Ansagen durch die Hallen plärren. "Ich habe sehr autobiographisch gearbeitet oder zumindest den Anschein vermittelt. Comics waren zu dieser Zeit noch unterentwickelter als heute. Außer Robert Crumb gab es eh sehr wenig und der ganze Rummel um die New Comix der Achtziger bezog sich auf den Mainstream." Mit "Dark Knight" und "Watchmen" präsentierte sich der ôffentlichkeit eine neue, respektlose Herangehensweise an die Superhelden, die immer noch 90% des amerikanischen Marktes beherrschten. Frank Miller zeichnete das Bild des 60jährigen Batman als faschistoidem Selbstjustizler mit extremer Persönlichkeitsstörung und führte durch seine Einbindung von Panels mit Fernseh-Kommentaren nur seinen Stil aus "Daredevil" weiter. Im Prinzip hatte Miller in seinem Marvel-Run um den blinden Rechtsanwalt zwischen Gesetz und Gerechtigkeit schon alles über Ninjas, Mutanten, böse Corporations und geheimnisvolle Frauen gesagt, aber nichtsdestotrotz wird dieser Typus hard-boiled Anti-Held , nichtzuletzt von Miller selbst, ohne Ende weiterkopiert. Alan Moore trug in "Watchmen" auch nur an die Amerikaner, was er den Briten schon mit "Miracleman" vorgeführt hatte, Superhelden zehrten nur von ihren eigenen Klischees und bezogen sich nur auf sich selbst. Alles war vorgedacht und in Industrienormen gepresst, Batman würde niemals richtig sterben und alles war nur ein Spiel mit den Konventionen des Genres. Alan Moore's popmoderner Schwanengesang um Macht und Verantwortung wurde inhaltlich aber nur am Rande begriffen. Zu komplex war "Watchmen", das Future-Retro-Gestrüpp von cleveren Anspielungen und so wanderte das erwachsenere Publikum irgendwann in den tatsächlichen Underground ab. Naja, einige zumindest... Junge Leute, die Comix mochten und damit aufgewachsen waren, forderten nach neuen Herausforderungen und hier stießen sie dann ruckzuck auf Peter Bagge und seine Figur Buddy Bradley. Bagge hatte nach "Weirdo" sein eigenes Magazin "Neat Stuff" weitergeführt und dort die reizende Familie Bradley entwickelt, den Alptraum der amerikanischen Vorstädte. Buddy Bradley hatte bald ein Eigenleben entwickelt und dem täglichen Familien-Alptraum fehlte irgendwann die Würze als die eigenen Jugenderinnerungen ausgeschlachtet waren und Buddy endlich erwachsen werden mußte. Also nahm Peter Bagge das Gesetz der Serie ernst und führte seine Helden in die Heft-Serie "Hate", die sich inzwischen zum Top-Seller der unabhängigen Verlage gemausert hat. "Hate" verfolgt Buddy Bradley in einer klaren Zeitlinie. Die Figur altert mit seinem Schöpfer und arbeitet dessen Erfahrungen in all ihren Widersprüchen auf, während Batman immer ein Markenartikel für 14jährige und "Junggebliebene" bleiben wird. Wir alle wissen das und eben auch, daß Carlsen die Serie unter dem idiotischen Titel "Leck mich!" verlegt (Provo!) und die Original-Serie inzwischen farbig ist. Darüber mögen sich die Nerds ereifern. "Ich habe nie ein Problem mit der Farbe gesehen. Die Leute sind so fixiert, daß Underground eben in schwarz/weiß sein muß." "Die Hefte sehen jetzt wie harmlose Archie`-Hefte mit schweinsrosa Gesichtern aus." "Exakt und das gefällt mir. Was meinst du, wem die Dinger jetzt in die Hände fasllen und was für bittere Eltern-Briefe ich jetzt kriege, he, he." Wir hocken immer noch an Peter's kleinem feinen Signiertisch in seiner Ausstellung, in der nur Peka und Stephan Katz rumlungern weil es hier Bier gibt und das scheint den Herren gut zu gefallen. Zwischendurch kommt Tom und fragt den Gast, der eigentlich wegen seiner Ausstellung in der Berliner "Grober Unfug"-Galerie in Deutschland ist, ob denn noch was zu trinken da ist und Peter freut sich, daß der Comic-Underground in Hamburg so überschaubar ist. Bei astronomischen Tagespreisen von zehn Mark für eine kleine Verlagsmesse verirrt sich kaum jemand in die Deichtorhallen. Drei Tage ist man einigermaßen unter sich und das ist auch ganz lustig weil deutsche Provinz immer sehr unterhaltsam ist wenn sie richtig schön dick aufgetragen ist. Peter hatte erwartet, etwas mehr im Rampenlicht zu stehen, ist aber nicht traurig, daß sich nur ein paar schüchterne Kids mit NOFX-Herrenoberbekleidung für ihn interessieren. "Es ist ziemlich nervig inzwischen. Ich gehe gerne irgendwo hin, wenn man mich einlädt , meinen Flug und mein Hotelzimmer bezahlt, aber meistens denken die Leute dann, daß ich ihnen erzählen kann, wer Kurt Cobain wirklich ermordet hat." "Du stehst einer Rock'n'Roll-Tradition aber auf jeden Fall näher als dem Comic-Gesammel." "Klar, ich sehe mich ja auch in so einem Zusammenhang. Ich bereue ja nicht, daß ich sehr viel für Sub Pop gezeichnet habe und all das. Die Leute müßen nur sehen, daß das ein lokales Label war und ich ein lokaler Künstler, der immer noch zu billig war, he, he. Aber das ist ja immer noch meine beste Werbung, daß sich Leute regelmäßig mein Heft kaufen weil ihnen das TAD-Cover gefallen hat. Aber ich höre dieses Zeug sowieso nicht mehr und kann auch nicht viel dazu sagen. Ich erzähl immer irgendwelche Lügen über die Dwarves, wenn man mich auf den Seattle-Boom anspricht."

1993 brachte Pete sein erstes Fanzine "I like Comics" auf den Markt mit, eine "Super Special Seattle"-Ausgabe mit endlosen Interviews über volle Aschenbecher, dreckige Socken und die verrückte Fantagraphics-Hausgemeinschaft. Peter Bagge ist ein Schandmaul, seine erste "journalistische" Arbeit ist ein Meilenzähler der Fanzine-Kultur voller Bosheiten und auch auf dem Salon wird er nicht müde seine Mitstreiter zu dissen. Wir grinsen über das Kleid von Julie Doucet und Pete klatscht brühwarm über ihre Affäre in Berlin, die der liebreizenden Franko-Kanadierin inzwischen eine neue Heimat auf der Welt größten Baustelle einbrachte. Dann ist Jeff Smith dran, der schon im Flugzeug seinen Jet Lag betrunken hat und seitdem im Dauerakkord die Gebrüder Bone zu Papier brachte. "Jeff wird niemals aufhören zu lächeln. Es ist unmöglich, diesen Kerl hochzunehmen, ein elendiger Heiliger." Die Verschworenheit fällt auf, die den amerikanischen Comic-Underground durchzieht. Da ist die kalifornische Residenz mit Verlag, "Comics Journal" und vielen Umtrünken. Da ist die Seattle- und die Toronto-Sippe, da sind die New Yorker "Artsuckers" und seit Neuestem auch das Image-Brat Pack der ehemaligen Marvel-Star-Zeichner, die eine Schlacht nach der anderen gegen den ehemaligen Arbeitgeber gewinnen. "Es ist viel passiert und es wird immer mehr geredet. Einzeltäter wie Evan Dorkin oder Dave Sim treiben die Revolte noch zusätzlich. Es ist als ob alle unbedingt was ernsthaftes aus Comics machen wollten, aber am Ende nur die Marktanteile verteile


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Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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