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Sunday, 20. October 2002

MUTANTENWELT:

World of the living dead

Beileid, Viva2, das habt ihr doch wohl nicht verdient, aber Dieter Gorny, Mensch gewordene Brühwurst mit bedenklich abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, hat aber wohl nicht ganz unrecht, wenn er meint, mit Grimme-Preisen sei man noch lange nicht kommerziell erfolgreich.

Schluß also mit ZwoBot und den Puppen sowie all dem anderen Independent-Vollprogramm, was niemand richtig gesehen hat, aber es war doch eigentlich ganz schön als Identitäts-Grundlage. Man machte den Fernseher an und sah lauter alte Bekannte. Sogar Tomte's Thes durfte dort klugschwätzen und man kam sich richtig cool vor, Teil einer Sache, psst geheim, wir bauen gerade voll das Ding, voll die Szene, Risensache, ich schöre dir. Am liebsten liest man über die, die man eh schon kennt und wo sie wieder wem in seine Suppe gespuckt haben.

Traditionell stand sowas früher mal im ZAP, dann kam das Internet und irgendwann schon Viva2. Wer braucht da noch ein Fanzine, wenn die Goldenen Zitronen in der Glotze laufen?

Nun ja, jetzt haben sich die Gemüter etwas beruhigt und Deutschland's Club der nicht ganz so kommerziell erfolgreichen Musiker sowie deren Fanmob hat aufgehört das Internet mit Boykottaufrufen voll zu weinen weil jetzt Phil Collins läuft, wo gerade noch die Nische war.

Ihr Seppels seid doch alle selbst schuld, hättet ihr mal vernünftig kommerziell interessante Musik gemacht, würde Charlotte Roche jetzt nicht in der Beliebigkeit des Muttersenders Viva ertrinken. Hättets mal alle auf den fetten Gorny gehört, der für die Musik ja nur das Beste will: diese verkaufen nämlich und zwar in großer Stückzahl, so ward es versprochen als die Mayorlabels ihren eigenen TV-Sender gründeten weil MTV ja noch nicht genug war und der Mainstream noch breiter geklopft werden konnte.

Jetzt haben wir den Salat in Form von Linkin Park, nachgemachten Eminems und ausrangierten Container-Existenzen, die inzwischen nur noch auf 40.Geburtstagen von FDP-Vorsitzenden geladen werden um diesen etwas Glam zu verleihen.

Und, haben sie Viva Plus schon mal gesehen, also wirklich länger als zehn Minuten hingesehen? Wissen sie jetzt, welche Qualen einer wie Harald Schmidt haben muß, wenn er sich morgens auf seine Gäste vorbereitet, die in einer nicht gerade gering zu nennenden Prozentzahl aus einem dieser Retortenkanäle entwichen sind. Warum eigentlich nicht stattdessen den Mann von Home Shopping-Kanal mal einladen, liebe Schmidt-Redaktion? Am besten den Mann mit dem Wundermesser und die Frau mit dem komischen Speck-Weg-Expander!

Aber Viva Plus, auf den ersten Blick verwirrend für alle über 30, die nicht so sehr auf Multi-Tasking programmiert sind, also nicht unbedingt Fernsehen, Videospielen, Telefonieren und Essen gleichzeitig beherrschen. Kleine Laufbänder zeigen SMS-Nachrichten von irgendwelchen Saras, Janas und Nicos, die irgendwen ganz doll lieb habend grüßen und alle ihre Freunde auch und das ganze Viva Plus Team sowieso weil noch Platz war bei den 160 Zeichen.

Wahrscheinlich gibt es die Janas und Nicos nicht mal und es handelt sich nur um bezahlte Studenten oder Praktikanten der Redaktion, die da den Betrieb simulieren. Kennt man ja von so New Economy-Firmen aus den ach wie efolgreichen Chaträumen, die lediglich von Angestellten bevölkert werden!

Ein zweites Laufband blendet Mini-Infos, CD-Veröffentlichungen und Film-Starttermine ein, die man gefälligst kaufen soll, schließlich bezahlt auch irgendwer für die ganze Scheiße oder denkt ihr, sowas ist umsonst!? Dieser Bereich wird wahrscheinlich von einer "Online-Redaktion" (Lacher!) betreut. Online weil virtuell und damit billiger, effizienter, ausgesourcet und vor allem entbehlich, wenn irgendwann die Rechnungen bezahlt werden müßen! Die News McNuggets können jedenfalls getrost gestrichen werden um mehr Platz für die Möpse der Moderatorinnen zu schaffen und die ganze Idee einer "ich will im Fernsehen meinen Namen geschrieben sehen"-Community ist ziemlich lächerlich. Wer will in zwei Jahren noch diese ganzen "Hallo, ich auch"-SMS-Nachrichten im Fernsehen lesen. Ist aber 'ne neue Technologie, muß also frontal und brutalstmöglich gevideofeatured werden, was uns zum Kern des ausgeweideten Pudels bringt, den Menschen, die zwischen den Videoclips mit Handkameras die Weltgeschichte unsicher machen.

Die semantische Katastrophe einer "Welt im Britney Spears-Fieber" hat inzwischen neue Instant-Mutanten produziert, die einem Angriff der Werbefiguren auf die Realität gleichkommt. Und wer gerade noch gespottet hat, bemüht sich jetzt um die besten Plätze im Zirkus der endgültig Rückverdummten.

Zombie-Elsen, die Werbung für Instant-Produkte machen weil man dann werbewirksam dämlich rüberkommt! Dummheit ist Street, Ghetto und voll phat Credibility. Wer dumm ist, dem gehören die Herzen der Gesellschaft. Schaut her, ich bin noch blöder als ihr alle, aber doch zumindest Kanzler, har-har-har. Kennen sie noch den Millionen-Manni? Sagt ihnen der Titel "impotenter Euro-Fritz" noch irgendwas? Wie lange reicht das Kurzzeitgedächtnis für die Verarbeitung all der Bildzeitungs-Charakters? Geklaute oder gewonnene Millionen, Männer, die von Euro-Talern ihrer Manneskraft beraubt wurden, Frauen von der Casting-Couch für lose Luder, sie bekommen einen Namen auf dem Boulevard und schon hat man sie wieder vergessen. Wie nennt man diese Sorte Wesen, die nur als Image in den Medien existieren? Avatare?

Glückwunsch, künstliches Leben zu schaffen ist also dann doch einfacher als man denkt. Wo zum Geier haben sie denn diese Elsen her, die selbst Ariane Sommer in den dukelsten Schatten stellen? Junge Menschen mit Handkameras sind über die leicht brennbaren Städte der Welt verteilt um dort vor Ort zu sein, wenn irgendwo der neue Trend in Flammen steht.

Das sieht in der Praxis so aus, daß die Handkameras dauernd die Möpse der entsprechenden Barbiepuppe, eine nackte Wand oder irgendwie den Himmel zeigen während im Hintergrund irgendein "Star" seinen Promotext runterbetet.
Der teuer durchsanierte Dilletantismus, der dabei zu Tage tritt ist beeindruckend. Stur wird das "irgendwie voll real"-Konzept verfolgt, was in den letzten Jahren mit Container-Retorte und selbstgebackenen Popstars aus der Legebatterie so erfolgreich war. Der Trash der Konkurrenz muß an Niveau noch unterflogen werden, ganz klar. Da hampelt z.B. so ein unappetitliches Möpsemonster mit dem üblichen Outfit einer frivolen Kassiererin aus Wanne-Eickel auf dem Sunset Boulevard, über das Gelände des Warped-Tour-Zirkus und belästigt Anwesende mit der Frage, wegen welcher Band man angereist wäre und ob es auch schön sei. Diverse Menschen nennen Pennywise als Grund ihres Erscheinens und das Shalala-Punk-Quartett aus Kalifornien ist auch der Grund, warum unsere Freundin mit der Kamera überhaupt umsonst auf das Gelände durfte. Mit graziöser Leichtigkeit gelangt sie bäckstäitsch, was für Leute dieser Sorte eh am wichtigsten ist, weil, für Musik, interessieren sie sich nicht und hinter der Bühne kann man vieleicht wenigstens irgendwem einen blasen und in der Zwischenzeit zumindest etwas Geld verdienen, wenn man schon mal da ist. Irgendwann zerrt Barbie Mr.Pennywise himself von seinen Freunden weg und unter einen schattigen Baum, wodurch man mit Handkamera wirklich nichts mehr sieht außer blauem Himmel, einem Mops und der Mütze des Musikers. Hi-tech, low brain! Der Mann darf also reden, wird aber immer wieder mit Gekicher von einer angeblichen Interviewrin unterbrochen, die weder Fragen stellt noch zuhört oder in irgendeiner Weise vorbereitet ist. Wichtig scheint nur, dass der Zuschauer vermeintlich nahe an einem Geschehen ist, was durch und durch virtuell konstruiert ist. We're all in this together now and we are just gut drauf. German television, you know, can you speak here please. What's your name again? Pennywise hätten auch Trapez-Artisten sein können, bei VivaPlus hätte man das nicht gemerkt und es wäre auch egal gewesen. Was soll das sein, der Andy Warhol-Effekt? Huch, Andy und seine Superstars sind auch da, jetzt ist die Party offiziell geadelt und man kann damit angeben, dort gewesen zu sein. Nur waren die Superstars, mit denen big Andy sich umgab, ganz bewusst genauso sinnentleert wie der Rest seiner Werke. Sie alle waren nichts und niemand ohne den großen Magier, der sie erschaffen und ihnen Leben eingehaucht hat. Das Kanonenfutter in den unschuldigen, deutschen Privatmedien hat das nicht verstanden und die Generäle in der Schlacht um die wichtigste Zielgruppe haben immer noch den gleichen Marylin-Druck an der Wand weil es so hip ist.

Da sag noch einer, die Apokalypse hätte nicht stattgefunden.

Die deutsche Nachkriegs-Parole Internationalismus statt Patriotismus, sowohl in der BRD als auch in der DDR ausgegeben, entpuppt sich als Turbo-Amerikanisierung und der Deutsche wäre sowieso lieber ein Yankee weil die Welt über'n Teich so hübsch einfach in gut und böse abgesteckt ist wie der Deutsche es von jeher schätzt. Und wer sich nicht zwangskolonialisieren lässt, steckt mindestens als Sympathisant mit Terroristen unter einer Decke. Dadurch ist es langweilig geworden seit Dr.Fu Man Chu vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Unsere Boys machen ja nun wirklich nicht viel her. So fühlt sich das Leben in der Popmoderne dann also tatsächlich an. Man hat heutzutage soviel Spaß als Kulturpessimist, es ist kaum zu fassen. Nur die populäre Form und nur der populäre Inhalt werden überhaupt akzeptiert eventuell zu Gehör getragen zu werden um dabei kaum überhaupt noch solches bei irgendwem zu finden. Alles ist in gleichem Maße wichtig und alles ist in gleichem Maße schrecklich, lieb oder lecker. Ist das Fernsehen nach dem 11.September überhaupt noch dasselbe? Ist das überhaupt noch unser Uli Kiffer Wickert oder inzwischen längst 3D-Animation? Wählt Arschkrampen und macht Container Alex zum Präsidenten. Der Mensch hat seine Schuldigkeit getan und verabschiedet sich aus der Geschichte.

Smithers, hetzen Sie ihnen die mutierten Killer-Barbies auf den Hals!

Das Finale von Day of the Dead, dem dritten Teil in Romero's Zombie-Trilogie. Die lebenden Toten haben die Welt erobert und auch die Insel mit den letzten Versprengten aufgegessen. Unsere Helden nehmen den Hubschrauber und fliegen in den Sonnenuntergang, wohlwissend, dass der Sprit nicht reichen wird und sie nirgends mehr landen können. Die Zombies sind jetzt allein und haben nichts zu essen mehr. Auf der Erde geht das Licht aus.


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 8334 days.

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English Info

Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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