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Sunday, 1. October 2006

BOOKS:

Über der Kloschüssel mit Tomte – „Die Schönheit der Chance“ von Hilmar Bender

Erschienen bei Schwarzkopf & Schwarzkopf (250 Seiten, 50 s/w und farbige Abbildungen, Hardcover mit Schutzumschlag, 14,90 Euro)

Tomte purzelten so ca. 1997 in mein Leben. Könnte auch erst 1998 gewesen sein. Ich habe leider nicht Tagebuch geführt und der Flyer für das kleine Konzert, was ich damals mit den Boys im „Eisen“ veranstaltete, ist irgendwie verloren gegangen. Ich war nie ein Sammler von nostalgischen Scherben, mit denen die Nichten sich später des Onkels wilde Vergangenheit zusammen puzzlen dürfen.

Mein Gefährte Marcus Wiebusch hatte angerufen und von dieser Band geschwärmt, die mir restlos gar nichts sagte. Auf die Schnelle sollte in Bremen für eine Mini-Tour noch ein Konzert eingeschoben werden. Wenig später schon erreichte mich eine CD mit vier Songs aus dem uhlmannschen Kinderzimmer in Hemmoor und clickediclick hatten wir bereits eine persönliche Verbindung. Tomte sagte mir nichts, aber die Adresse war mir bekannt. Immerhin war Thees einer der ersten Abonennten des unendlich legendären Fanzines „Gags & Gore“, das zwischen 1990 und 1995 den deutschen Pop-Journalismus durch die Hölle und zurück getrieben hatte. X-mal hatte ich seine Adresse auf den Umschlag gepinselt und so musste ich Tomte sowieso veranstalten. Die gebrannte Maxi-CD überzeugte nicht restlos, aber irgendwas war da und für einen Auftritt in der Bremer Rockerkneipe „Eisen“ reichte es allemal.

Es gab nur wenig Menschen, die verstanden haben, warum wir „Gags & Gore“ so gemacht haben, wie wir es gemacht haben. Thees gehörte ganz eindeutig dazu und er befand sich damit nicht unbedingt in schlechter Gesellschaft. Wir bekamen Fanpost, Leute lernten unsere Witze auswendig oder schrieben Magisterarbeiten über uns und in Bayern gab es zeitweise ein Fanzine über das „Gags & Gore“-Fanzine. Es war ähnlich wie bei den „Velvet Underground“: wir verkauften maximal 1000 Hefte, aber jeder unserer Käufer gründete hinterher seine eigene Band oder begann zu schreiben. Oder so ähnlich. Erst heute wird einem klar, dass man Einfluss genommen hat und der erste, der darüber sprach, war Thees Uhlmann. Seine Begeisterung war echt und man musste ihn immer irgendwann bremsen, aber er redet heute noch davon.

Der Auftritt im „Eisen“ war eher mäßig, aber auch nicht schlecht. Die Band spielte gegen ein schwieriges Publikum lederner Punk-Senioren an, die mit dem Schwermut der Songs nicht mitkam. Tomte war das egal. Der Gig war sehr kurzfristig und ohne große Ankündigung zustande gekommen, aber es gab eine handvoll Deutschmarks und die üblichen Runden Bier. Danach zog man quer durch Steintorviertel. „Römer, Eisen, Lehmanns, Capri Bar. Thees redete wie ein Wasserfall und war auch durch immer schnellere Runden Sauren nicht zu bremsen. Seine Mitstreiter Timo und Stemmi guckten mehr als gelegentlich beschämt zu Boden. An diesem Abend kreuzten sich viele Wege. Dax stand hinter dem Tresen, Styra, Party Diktator, Veganer und zwei Typen namens Ferris und Immo davor. Es war eine gute Zeit, aber die wilden 90er bereits vorüber. Band-Mitglieder waren immer Ex von einer anderen Band, die sich aufgelöst, aber immer noch Fans hatte. Ich kann mich so gut darin erinnern weil Thees bei jeder Begegnung mit einem Bremer Musiker sofort jeden Song singen konnte, den der Mensch je geschrieben hatte. Es war erfrischend, wie die drei Jungs aus der norddeutschen Provinz mit ihren großen Klappen die ultracoole Szene-Schickeria aufmischten. Ich erzählte am nächsten Tag allen meinen Freunden davon und sagte immer so Sachen wie: „Tomte, nee, den Namen sollte man sich ruhig merken.“ Die Nacht endete damit, dass Thees in meinen Papierkorb kotzte, womit er heute noch auf großen Bühnen rumprahlt. Es ist eine Art interner Witz, denke ich. Morgens machte Tomte von den Einkaufsmöglichkeiten in der Wohnung Gebrauch. Meine damalige Lebensabschnittsgefährtin Corey betrieb ein Label namens Equality Records samt Vertrieb und das gesamte Programm plus getauschte Platten anderer Labels türmten sich auf dem Flur, der in Spitzenzeiten einem kleinen Flohmarkt glich. Tomte deckten sich mit allem ein und erwiesen sich hinterher als die besten Kunden, die wir je zu beherbergen hatten. Sie waren Fans der anderen kleinen Bands und freuten sich wie Kinder über Schnäppchen aus der Second Hand-Kiste.

Im Laufe der folgenden Jahre kreuzten sich unsere Wege hier und dort. Die kleine Band spielte wie verrückt Konzerte, zog irgendwann nach Hamburg und sehr viel später nach Berlin. Immer wenn ich Thees irgendwo traf, überwältigte er einen erneut mit seiner Begeisterungsfähigkeit. Vor Minou Zaribaf fiel er in Anerkennung ihrer Comickünste auf die Knie und sang ein halbstündiges Loblied auf das „Artige Zeiten“. Als Roadie unserer lieben Freunde von Weakerthans gab er alles und man sah ihn buchstäblich wachsen. Das Talent als Unterhalter hat er immer gehabt. Thees glaubte an sich und an seine Band. Nach dem Ausstieg von Stemmi veränderte sich allerdings die Besetzung. Ein paar neue schräge Vögel kamen dazu und ergänzten nicht nur den Sound von Tomte optimalstens. Die Band war plötzlich voll da und wer sie lange nicht gesehen hatte, war völlig von den Socken. Marcus Wiebusch hat es gewusst und ich habe es geahnt, aber plötzlich wurde vielen Menschen klar, dass Tomte etwas Besonderes waren.

Ab 2003 wurden Sie von Hilmar Bender alias Cursor begleitet, der seine Tour-Aufzeichnungen nun endlich in Buchform vorgelegt hat. Es ist der zweite Akt in der Geschichte von Tomte, die hier beschrieben wird und Hilmar Bender hat die richtigen Worte gefunden um den Jungs gerecht zu werden. Man kann den Gestank im Bandbus förmlich riechen, diese spezifische Mischung aus Männerschweiß, alten Socken, Bier, Zigaretten, muffigen Tankstellen-Chips und vergessenem Obst unter der letzten Bank. Die Schönheit der unsterblichen Augenblicke ist fast zum Greifen nahe, aber ein Rest von Geheimnis bleibt zum Glück bewahrt. Das Buch ist eine Innenansicht und beschäftigt sich nur sehr, sehr peripher mit dem Trubel, der Anfang dieses Jahre um Tomte gemacht wurde. Hier geht es um die Menschen und nicht um den Erfolg und darum ist es Tomte immer gegangen, aber wir wollen nicht länger von früher reden. „Nostalgie ist die Vorstufe zum Konversatismus“ schreibt Thees im Vorwort und eigentlich hat sich auch nicht viel verändert, wenn man davon absieht, dass man bei den Konzerten jetzt spezielle Eintrittskarten braucht um sich auf die Schulter zu klopfen.

Und natürlich schön zu wissen, dass meine Wenigkeit dem Autoren mit der Inspiration geholfen hat, wenn ich mich auch kaum daran erinnern kann. Aber wir alle erinnern uns andere Begegnungen und Abende auch in zwanzig Jahren noch ganz genau. Weil es wichtig war und weil sich die Mitglieder unseres kleinen Stammes auch weiter inspirieren werden. Falls ich Thees mal mit irgendwas im „Gags & Gore“ inspiriert habe, hat er sich inzwischen jedenfalls reichlich revanchiert. Aber der Mülleimer hat dafür noch Tage nach Kotze gestunken! Übrigens, in den Eimer haben auch andere Rockstars gekotzt. Ich hab den noch im Keller. Da sind auch lauter so uralte Punk-Aufkleber drauf, die wahrscheinlich irgendwas wert sind. Vielleicht sollte ich den bei Ebay versteigern....

Auch schön: Kettcar: Im Bett mit Marcus Wiebusch


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 8144 days.

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English Info

Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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