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Tuesday, 6. September 2005
POLITIK:
Das Land der Toten Von allen Fehlern, die der Regierung Bush in der letzten Woche unterlaufen sind, ist einer bisher unbeachtet geblieben. Nach dem Tod des Oberrichters William H. Rehnquis, der vor allem Bush Senior persönlich sehr nah stand, ließ der Präsident verkünden, Washington würde halbmast flaggen. Erst 24 Stunden später verkündete Larry King auf CNN, natürlich würde man auch für die Opfer des Hurrikans halbmast flaggen, aber erst die Intervention von Bush Senior vor seinem Sonntagsinterview schien den Moderator dazu veranlasst zu haben. Gestern stand der Ex-Präsident samt Gattin Barbara Larry King erneut Rede und Antwort. Selbst Vater Bush schließt inzwischen nicht mehr aus, dass da so einiges schief gelaufen ist. Trotzdem hält er den Kopf für seinen nichtsnutzigen Sohn hin, der sich zur gleichen Zeit vermutlich brezelmampfend ein Football-Spiel ansah. Bezeichnenderweise tauchte der Senior gemeinsam mit Bill Clinton bereits in der ersten Pressekonferenz auf, die sein Sohn nach dem Hurrikan einberief. Unsicher schob George W. seinen Vater und Clinton vor sich her. Die beiden Ex-Präsidenten hatten nach dem Tsnunami 2004 Freundschaft geschlossen und kümmern sich seitdem weltweit um Opfer von Naturkatastrophen. Diesbezüglich vermittelt das Team Bush/Clinton tatsächlich Kompetenz und den Amerikanern einen Hauch jener Autorität "in charge", die man zur Zeit so schmerzlich vermisst. Während der Präsident mit platten Sprüchen über das Versagen seiner Monster-Bürokratie hinwegflötet und mit dem obligatorisch dümmlichen Grinsen junge Frauen betatscht, die gerade dem Tod entkommen sind, strengen sich seine Vorgänger an, das Vertrauen in die Bundesregierung wieder herzustellen. Man bemühte sich zu erinnern, dass ein falscher Eindruck entstehen könnte, wenn man im Fernsehen ständig von „Flüchtlingen“ sprechen würde. Die große Herausforderung wird es nun sein, hunderttausende von Menschen zu versorgen. Mit ein paar Happy-Meals wird es da nicht getan sein und aus dieser Verantwortung kann sich auch der Präsident nicht herauswinden. Es ist nun wirklich kein Geheimnis, dass der aktuelle Präsident nur wenig mit den Regierungsgeschäften zu tun hat und der Vater über seine alte Hintermannschaft weiterhin die Strippen zieht. Daran hat man sich gewöhnt. Aber selbst für Bush Senior scheint das Verhalten der US-Regierung völlig unverständlich. Vize-Präsident Cheney weilt scheinbar immer noch im Urlaub, Condi Rice brach ihren Urlaub erst ab, als sie in den Luxus-Boutiquen von Manhattan auch von ultrareichen Bürgern angespuckt wurde und den Präsidenten selbst hat man an den Ohren nach Washington ziehen müssen, wo er nur höchst widerwillig wieder hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. So ein Einsatz ist natürlich teuer und so checkte der Präsident erstmal die Ölpreise und kümmerte sich ums Kerngeschäft. Er rief den Gerd in Berlin an, der als Autokanzler sofort alles mögliche versprach und sich um die Sache mit dem Benzin zu kümmern versprach. Um Zelte oder die Ernährung der Evakuierten mochte Bush sich nicht kümmern. Sowas ist teuer, wie gesagt. Ein Konjunkturprogramm zum Wiederaufbau des Sündenpfuhls New Orleans ist dagegen lukrativer. Und man konnte „Sin City“ endlich gezielt in ein neues Disneyland verwandeln. Rassismus spielte bei diesen Entscheidungen keine Rolle. Fanatischer Glaube und blindes Vertrauen in den totalitären Kapitalismus schon eher. Statt einer Verstärkung der Rettungsmannschaften beschloss Bush einen groß angelegten Militäreinsatz und machte die Situation für die Überlebenden im Krisengebiet noch schlimmer. Statt eines Teams von Medizinern schickte man eine Horde schwer bewaffneter Hooligans, die lediglich ein Widerherstellen von „Law & Order“ suggerieren sollten. Tatsächlich hatte es letzte Woche erstaunlich wenig Verbrechen in New Orleans gegeben und die Gefahr von Plünderungen wurde unverhältnismäßig aufgeblasen weil man keinen Plan hatte. Etwas anderes fiel der „Law & Order“-Regierung halt nicht ein, aber in diesem Falle gibt es keinen Gegner, den man militärisch besiegen kann. Das Auftauchen von Rettungstrupps mit schweren Waffen steigert nur das Entsetzen der Überlebenden und das Kompetenzgerangel geht jetzt erst richtig los. Statt mit geeigneten „high-wheeled trucks“ rückte das Militär mit Jeeps und Pick-Ups an, die in den Wasserfluten nicht weit kamen. Statt Krankenschwestern brachte man noch mehr Soldaten, die sinnlos zerstörte Gebäude bewachten oder in einer entvölkerten Geisterstadt patroullierten. Erklären kann es sich niemand. „Well, Larry,“ sagen sie dann alle und betonen, es sei jetzt nicht die Zeit um Schuld zu verteilen etc. Glaubhaft in diesem Wirrwarr von Talking Heads scheinen inzwischen nur noch Bill Clinton, der seine Wut nur schwer verbergen kann, und natürlich General Russel „John Wayne“ Honore, der nun leicht zum größten Helden der amerikanischen Geschichte aufsteigen kann. Honore, der manchen als „politisch unkorrekt“ gilt, ist die perfekte Besetzung für die Lichtgestalt in dieser düsteren Geschichte, die uns seit einer Woche im Fernsehen verfolgt. Der wortkarge Kettenraucher scheint zumindest seinen Job zu machen und dem Zusammenbruch von Kommunikation im Zweifelsfall zu Fuß zu begegnen. Der General verteilt keine Schuld und vermittelt den Eindruck, jedem, der seine Operation weiterhin stört, persönlich was auf die Glocke zu geben. Überhaupt ist es interessant, dass auch Senatoren dem Präsidenten mit physischer Gewalt über die Ohrfeige, die er auch nach Meinung vieler Republikaner längst verdient hat, hinaus, drohen. In Houston und anderswo kaufen die Bürger eifrig Waffen und rüsten sich gegen die Armee von ausgehungerten Obdachlosen, die nun in die bürgerlichsten der bürgerlichen Gegenden von Amerika vordringt. In anderen Krisengebieten halten die Menschen zusammen, wenn sie alles verloren haben. In Amerika schießen sie aufeinander was das Zeug hält.
by tommyblank, 15:39h
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"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))
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