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Tuesday, 26. July 2005

MEDIA:

72 Stunden in der Folterkammer der CTU

"Some people are more comfortable in hell!" -Tony Armeida (chief of the CTU) about himself

Als die US-Serie "24" kurz nach dem 11. September 2001 an den Start ging, war man sich einig: die Fernseh-Unterhaltung hatte endlich wieder einen Sympathieträger und sein Name war Jack Bauer, Superagent der Counter Terrorist Unit (CTU). Kiefer Sutherland, ein Schauspieler, den man eigentlich immer gemocht hatte, feierte sein sensationelles Comeback in einer Mini-Serie, die das fast gesteckte Format einer TV-Season endlich wieder ernst nahm. Jede Folge entsprach 60 Minuten in Echtzeit und zusammen ergaben 24 Folgen einen Thriller, der wie am Schnürchen zu begeistern wusste. Der schwarze Präsident sollte ermordet werden und schon die erste Folge machte klar, dass sich "24" nicht hinter einschlägigen Kino-Produktionen verstecken wollte. Spektakuläre Szenen ergänzten scharf geschnittene Sequenzen im Hauptquartier der CTU und wackeligen Aufnahmen von der vordersten Front. Zwar waren überwiegend Menschen zu sehen, die im blauen Flackerlicht vor Computern hockten, aber die Hetzjagd von einem Cliffhanger zum nächsten funktionierte reibungslos. Ähnlich wie das Design der James Bond-Filme in den Sechzigern eine spezielle Ästhetik und das Serien-Format prägten, brachte "24" endlich das notwendige Update für ein neues Jahrtausend. "24" brachte die kindliche Vorfreude auf die nächste Folge zurück, die es zuletzt vermutlich bei den klassischen Kino-Serials in den USA gab.

Es hatte "Twin Peaks", "Wild Palms" und natürlich "The Prisoner" gegeben, aber keine andere TV-Serie hat das eigene Format bisher so sehr zum eigenen Vorteil genutzt wie "24". Natürlich mußte man die Folgen in der richtigen Reihenfolge sehen und konnte dabei keine auslassen, aber man konnte auch bei einem guten Krimi nicht in der Mitte einsteigen oder wahllos einzelne Kapitel lesen. "24" funktionierte schon allein deshalb perfekt als Suchtstoff auf DVD und trieb die Verkaufszahlen der TV-Boxen voran. Krank im Bett und 1080 Minuten Unterhaltung als Geschenk, was will man mehr?

In Deutschland steht die 4. Staffel an, aber die harten Fans haben sich natürlich längst die Raubkopien aus dem Internet besorgt und die Meinungen sind geteilt. Sprechen die Action-Fans von "der besten Staffel seit Season 1" winken andere ab und lassen kein heiles Haar an jener Serie, die sie kurz nach einer längeren Krankheit als sonstwie innovativ gepriesen hatten. Man verdirbt denen nicht den Spaß, die "24" bisher nicht gesehen haben, wenn man verrät, dass die CTU eigentlich ständig mit Maulwürfen zu tun hat. Was in der ersten Staffel noch zu einem spannenden Wendepunkt der Geschichte wurde, entwickelte sich in der Wiederholung zu einem Running Gag. Die Suspense-Split-Screens sind zum Selbstzweck vorkommen und wirken teilweise längst wie eine Parodie der ersten Staffel. Längst ist "24" als Auftakt eines neuen Selbstverständnisses im Fernseh-Business anerkannt und hat seine Schuldigkeit getan. RTL kopiert das Format mit "Eight Days" und Serien wie "Lost" oder "Desperate Housewives" wären sicher in der Entwicklungshölle hängen geblieben, wenn es Agent Jack Bauer nicht gegeben hätte.

Bauer ist der Held dieser Serie und der Rest seiner Truppe ist nur Staffage. "24" hat keine Zeit für Soap-Elemente oder aufwendige Liebesaffären, wenn sie nicht zufällig dem Plot dienen. Die Tatsache, dass man die Handlung eines Action-Filmes auf 24 Stunden Fernsehen aufblasen konnte, wurde von dieser Serie so verblüffend vorgeführt, dass man über die Figuren nicht weiter nachdenken wollte. Man öffnete ein weiteres Bier und hing drei Nächte lang vor der Glotze. Uns Uli Wickert bezeichnete "24" als "das schlimmste Drogenerlebnis meines Lebens" und ist dem Suchtstoff weiter verfallen. Immer wenn die neue Staffel irgendwie zu kriegen ist hat er auch drei Tage diese fetten Augenkringel. Wickert hatte Verständnis für den Mord an Jack Bauers Frau. Genau, man wollte die Frau sterben sehen weil es die Dramatik erhöhte.

Es entwickelte sich allerdings ein Kommen und Sterben bis die kaltschnäuzige Machart zur Fratze wurde. In der Folterkammer der CTU geht es in der 4. Staffel richtig rund. Kaum eine der Hauptfiguren wird nicht irgendwann von Freund oder Feind gefoltert und immer geht es um die gerechte Sache. Als Soldat der CTU muß man bereit sein, sich von den Kollegen foltern oder erschießen zu lassen, wenn Amerika mal wieder in Gefahr ist. Amerika ist immer in Gefahr und "24" etabliert eine fragwürdige Aufarbeitung der jüngsten Folterskandale in Afghanistan, Irak, der "neutralen Zone" Guantanamo Bay und anderswo.

Zusätzlich ist Jack Bauer gezwungen, die chinesische Botschaft zu überfallen, der Botschafter geht dabei drauf und der neue Präsident ist in Schwierigkeiten. Überhaupt ist der neue Präsident ein Waschlappen wie auch einige andere Figuren sich als naive Liberale entpuppten, die nicht begreifen möchten, was eine Option war und was nicht. "That's not an option" ist der am häufigsten gesprochene Satz.

Klar, die Geheimdienste haben immer und überall schon munter gefoltert, aber die Folterknechte und ihre geplagten Hintermänner zu Helden befördern, hat noch keiner gewagt. Die Zeit ist reif. Die 4. Staffel von "24" macht keinen Hehl aus dem ultranationalistischen Weltbild, welches die Serie clever transportiert, keinen Hehl. Der Action-Film war immer schon reaktionär geprägt und so fällt die Gratwanderung von Ballermännern mit flotten Sprüchen zum gestressten CTU-Agenten nicht sofort auf.

Wieder einmal ist Amerika gerettet. Der Kollaterallschaden ist beeindruckend und beim nächsten mal wird man mindestens eine Stadt mehr in die Luft sprengen müßen. Fan-Zombies wie ich werden sicher wieder einschalten. 4 Staffeln, 96 Folgen, 72 Stunden ohne Werbung, 3 Tage ohne eine Minute Pause. Das Runterkommen von der Droge ist immer am schwierigsten.


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 7975 days.

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English Info

Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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