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Thursday, 10. April 2003

ORTE:

Vereinsmeierei mit den üblichen Regeln

Die Amerikaner bezeichnen sich gegenseitig nur noch als "Anti-Patriots". Die kleine Russin geht nach Hause. Die Engländerin nimmt noch einen Schluck. Der Skandinavier lädt noch irgendwas aus dem Netz. Jimi Hendrix läuft in Bildschirmgröße durch den MediaPlayer. Mit Blogamp kann die ganze Welt sehen, was wir hören. Der Engländer und die Deutsche wechseln das Lokal. Reden wir über Filme.

Adaption. Asymmetrie wird symmetrisch gemacht. Ein großer Bruch im Kino der Selbstreferenz, Königsklasse der Popmoderne. Eine Lungenzelle hasst eine Hirnzelle, how stupid is that? Wäre das nicht die Quintessenz gewesen? Und ähnelt nicht "The Three" dem Plot von "Fight Club"? Würde dann nicht auch die Widmung für David Fincher mehr Sinn machen? Sieht das nicht alles nach dem zweiten Teil einer Trilogie über Identitätskrisen aus? Treffen wir im dritten Teil den echten Malcovicz, der mit dem echten Nicholas Cage in einen Film geht, den sie wirklich zusammen gedreht haben?

Es wird heftig spekuliert. Die Musik ist bei Ramones gelandet. Im Keller wird mit Geschirr geklappert. Ich werfe meinen Anteil für Speis und Trank in den Blechnapf. Komisch, daß man nur noch tschechisches oder polnisches Bier trinkt, wo man Jahre nur die grünen Flaschen kannte. Wir schließen den Kellerclub. Es hat geschneit und man kann nur stehend Rad fahren, was irgendwie sportiv, aber auch doof aussieht. Da wartet man auf den Frühling und dann das.

Im Herzen Kreuzbergs hat sich eine neue Bar unterhalb des Betonmonsters am Verteilerkreisel eingenistet. Eine riesige Leuchtreklame weist den Weg, wenn diese auch noch vom Möbelladen stammt, der die Lokalität einstmals beherrschte. Mit etwas DDR-Tapete (muß!), einer Sorte polnischem Bier (sollte!) und Seventies-Postern der Altstadt von Prag (kann!) macht man hier auf Platte und wirbt sogar mit dem Begriff. Die Platte im Westen. Das Neunziger-Revival ist in vollem Gange. Westliche Spaßvögel recyclen den Ossie-Look der frühen Neunziger. "Als würden sie in München versuchen, eine typisch Berliner Kneipe zu eröffnen", findet meine Begleiterin. Die Stadtzeitung findets total kultig und hat gleich eine Kreuzberg-Coverstory draus gedreht. Wir sind wieder wer, endlich! Es gibt Erdnüsse und aus den Boxen dröhnen Backstreet Boys, Britney Spears und Whitney Houston. Ist irgendwie witzig gemeint und die homosexuelle Fraktion feiert die Musik frenetisch. Trotzdem nervt es kollossal, aber die Pokemon-Kids werden erwachsen und erinnern sich wehmütig an ihre Jugend.

Noch tanzen gehen. Immer die selbe Diskussion. Die Damen scharen mit den Füßen. Vorher hat man bei einem jungen Mann gemeiert, aber mangels Einigung wurden die Regeln alle zwei Runden verändert. in Regionen, wo das Spiel als Mäxchen oder Lügenmax bekannt ist, pflegt man aggressivere Sonderregeln. Schnell kommt es zum Eklat. Ohne Alkohol kann man eh nicht lustig sein und schon garnicht vernünftig meiern.

Es ist Sonntag und schon spät. Rien ne va plus. Höchstens noch woanders hin. Dann wenigstens den coolen Club. Raus und auf den Sattel. Club ist besser als Kneipe weil intimer und dafür chronisch überfüllt. Ein paar Dutzend Leiber drängt sich um die kleine Theke im vorderen Neu-Kölln. Eine Sängerin, die mit Gekreische zu schwerem Bassdrum-Gepolter ihr Geld verdient, hat sich mit ihrem Hofstaat im ganzen Saale breit gemacht. Der Mann, den alle nur noch Djäi nennen, hat sich eine dumme Schnittwunde zugefügt und blutet alles voll. Im Videospielzimmer stapeln sich die verschüchterten Studenten. Vor dem Klo sitzt der gestrandete Gitarrist einer US-Erfolgsband und versucht ein Mädchen mit "ich kenne übrigens Rancid"-Anekdoten abzuschleppen. Er singt ein paar Takte "White shirt, black hat, tüdelü" und findet dann, daß er selbst ein cooles T-Shirt trägt. "I herz Adidas" steht da drauf. Ein anderer Freak erläutert ihm wie man T-Shirts bleichen kann. Das sähe viel besser aus, findet er. Der DJ bleibt beim Jazz. Was für ein Tor aus 40 Metern Entfernung. Alter Schwede. Und dann der Schuß von Figo im Spiel gegen Manu. Tor des Jahres, ganz eindeutig. Fußball finden jetzt alle gut. Im Alter hat man sich sonst nichts zu erzählen.

Die Bedienung bekreischt jeden Bekannten, der hereinkommt. Sie hält es in ihrem Job hinter der Theke eher mit den repräsentativen Pflichten. Leben auf der Bühne. Bestellungen dauern etwas länger.

Die jungen Leute überwiegen und sie recken keck die Köpfe hervor. Der 1.Mai wird interessant werden. Die ewigen Diskussionen zwischen den beiden alten Lagern wird dann eventuell von einer breiten Masse weggespült, die sich von den Altkadern nicht repräsentiert fühlt. Eine schwierige Sache. Was will der 1.Mai und wer will bei der Linken überhaupt noch mitmachen... Die Demoleitung kam da auf eine gute Idee. Man lud ein paar Industrie-Eintagsfliegen mit Rockstar-Gebärden um während des Umzuges ein wenig Musik am Start zu haben. MIA heißt diese Band und man plant auch gleich vor Ort ein Video für MTV zu drehen. Eine tolle Idee! Hätte man nicht wenigstens Dieter Bohlen fragen können?

Im Club geht das Licht an. "Könnt ihr nicht endlich nach Hause gehen?" Können wir schon, wollen wir aber nicht. Es ist Montag, früher Morgen. Nichts hat noch offen. Verfluchte Provinz. Beim Engländer ist noch Licht. Er ist auf Speed und hat die ganze Nacht am Piano gesessen. Seine Nachbarn müßen ihn schrecklich hassen. Wir rauchen Joints und lassen das Wochenende Revue passieren.

Ich ziehe auf den Prenzlauer Berg, Berlins Studentendistrikt Nummer 1. Dort ist es zur Zeit am wenigsten hip, aber das Getue scheint noch schlimmer. Wenn man jung ist, bedeuten die großen Posen noch Kompetenz und Autorität. Später will man nur noch Rotwein und seine Ruhe.

Zurück am Tisch. 5er-Box Maria Callas für 4,99 geschossen. Schreibe einen Spot für einen Behinderten-Verband, der dann in 3D umgesetzt werden soll. Zehn Charaktere für "Stadt in Angst" warten auf die Wiederbelebung. Projekt "Another Country" ist angelaufen (September wird als Release gehandelt). Viel zu tun und immer noch kein echtes Tageslicht.


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 8169 days.

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English Info

Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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