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Tuesday, 18. March 2003
MUTANTENWELT:
Verschwendet gefälligst Eure eigene Jugend! "Intro" gelesen. Voll mit Kasperkram und Vogelfutter. Gequatsche in authentischem Münchener Möchtemal-Slang. Da darf sich sogar eine gewisse Anja darüber auslassen, daß es total unfair ist, wenn man 17-jährige Superstars auspfeift. Immerhin hat ihre Mitbewohnerin ja einen Job in dieser RTL-Komödie und schon allein wegen dieser Anbindung an die Intro-Clique soll man mit den "jungen Talenten" wohl Mitleid haben. Junge Frau, diese Menschen mögen bedauernswert sein, aber sie sind eben nur Darsteller und keine Künstler. Die sogenannten Superstars sind von Kunst und Kultur so weit entfernt wie ein nasses Toastbrot und deine dämliche Mitbewohnerin interessiert mich einen Scheiß. Kann man nicht wenigstens zu dieser Sorte von Casting-Culture und Kinder-Prostitution mal eine fundierte Meinung an den Tag legen? Herrlich, diese Oberfläche, auf der man sich jetzt in Ruhe breit machen kann, nicht wahr? Hu und ha. Alles hat eine irgendwie ästhetische Sub-Dimension voll mit Styles und Skills. Was man da für eine Scheiße lesen muß, vor allem im Zusammenhang mit der ehrenwerten Band Tocotronic, Primal Scream, Pavement oder irgendwie Grunge. Jeder noch so unwichtige, drittklassige Prominente (Melanie C!) wird irgendwie mit unter die Decke geholt und gemeinsam spinnt man dann an der eigenen Wichtigkeit. Erinnert an den unerträglichen Helmut Karasek und seine grauenhafte Kolumne im Sonntagsteil des "Tagesspiegels", wo sich dieser in endloser Folge an seinen Begegnungen mit irgendwelchen Celebrities abarbeitete. Karasek war dabei stets bemüht, die klitzekleinen Geschichtchen so rüberkommen zu lassen als wären sie nur ein kleiner Ausschnitt aus den gemeinsamen Abenteuern von, sagen wir, Helmut und Woody Allen. Das war natürlich Quatsch und man merkte es auch sofort. Man überhöht sich aber gern selbst durch die Nähe zu Prominenten und wähnt sich dann bald selbst als solcher. Und es scheint zu funktionieren. Als Mann mit der Eintrittskarte nach hinten ist man als Geschichtenerzähler und Hafensänger allerorts gern gesehen. Dafür reicht es zu wissen, wo der Ärzte-Rod sein Restaurant hat oder in welcher Band die Frau gespielt hat, die den Eingang zur Künstlergarderobe zu bewachen hat. Und so kann man dann seine eigene Version der wilden 90er verspinnen. Da ist die Rede davon, daß man 1994 wirklich "Teil einer Jugendbewegung" sein wollte, aber leider keine bereit war einem die Mitgliedschaft zu offerieren. Wie schade.... Dabei boten gerade die frühen 90er eine unfassbare Bandbreite subkultureller Cliquen, die an irgendwas nagten um bloß aus dieser Jugendkultur-Falle raus zu kommen und künstlerisch ernst genommen zu werden. Dem gegenüber stand aber ein unpolitischer Hedonismus, der noch heute auf die "Rrrriot-Grrrrls" zurückgreift um irgendwas über Geschlechterverhältnisse zu sagen. Man hätte ja auch mal ein Buch lesen und aus den "Männerphantasien" zitieren können, aber den Schnullis, die sich nun langsam den letzten Rest des vergangenen Jahrhundert per Definitionsgewalt unter den Nagel reißen, ging es selten um die Inhalte. Die haben sie oft auch nur so halb verstanden. Wichtig war der Schein und die Nähe, das ungefährliche daneben stehen um später mit dem "dabei gewesen sein" angeben zu können. Die RAF hat ihre Verkitschung schon erfahren und so ist das Beackern der eigenen Szene-Vergangenheit gefahrloser geworden weil man sich nicht mehr mit dem wirklich radikalen Sumpf beschäftigen muß. Amüsant vor allem wie sich in diesem Zusammenhang ein merkwürdiges Bild der Achtziger bietet, wenn man den Bestseller "Verschwende Deine Jugend" noch hinzu zieht. Da wird der Mikrokosmos "Ratinger Hof" zur allgemein gültigen Blaupause und eine geschilderte Prügelei klingt für manchen Osterhasen gleich nach dauernd auf die Fresse. Aber so war es natürlich nicht, liebe Spätlese. Es war alles ganz harmlos und unsere Klamotten sahen alles andere als cool aus. Zweifelsfrei waren Fehlfarben und DAF natürlich ganz, ganz groß, aber back then kam ihnen nur geringe Bedeutung zu. Darum gefällt mir der Comic "Die zweite Seite des Himmels" vom feinen Herrn Golschinski auch besser als das totgedroschene "Verschwende deine Jugend", was nun den Punk in die Museen bringt um diesen Teil der Geschichte endlich abgeschlossen zu haben. Nehmt doch lieber das zur Hand. Nebenbei, die Musik war seinerzeit der Politik untergeordnet und das Fundament der Subkultur war ein politisches. Man ging auf Demos, besetzte Häuser und ließ sich von den Bullen verdreschen. Die 80er waren vor allem Wackersdorf, Grenada, Falkland, Nicaragua und Diskussionen wie man die Politik noch weiter tragen konnte, wenn das neue '68 vor der Tür steht und die Hosenscheißer mit der Institutionalisierung beginnen. Es kam aber der Fall der Mauer und dieses Ding da mit den 90ern. Was war das denn? Na, es hat die Entwicklung jedenfalls verlangsamt und vor allem in Berlin zu einem Golden Age der offenen Anarchie geführt, einer Zeit, die jetzt von Leuten betrauert wird, die Ende der 90er alles kaputt mythologisiert haben um sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Schrödingers Katze: wer sich in den Raum begibt, wird diesen verändern und niemals erfahren wie es vor seinem eigenen Eintritt ausgesehen hat. So ist das "Mitte"-Buch der Verbrecherei auch nur eine Ansammlung weinerlicher Erinnerungen an Dinge und Orte, die für die breite Mehrheit kaum eine Relevanz hatten, aber nun zu überproportionaler Wichtigkeit aufgeblasen werden weil Angehörige der Szene-Aristokratie irgenwie dabei waren. Was man da liest hat auch nichts mit den zügellosen Parties von 1992 zu tun, nichts von Nächten auf Droge und Sex mit Unbekannten auf einer Mülltonne im Hinterhof. Da geht es hübsch gesittet zu und man möchte doch lieber den Zeitgeist einfangen wie es sich gehört. Man redet lieber darüber, daß der Jochen von Blumfeld bei einem Popkomm-Auftritt in Latzhose auf die Bühne kam und was das wohl zu bedeuten hätte. Der weiß nämlich um die tieferen Momente und subtilere Töne, meint man. Diese ganzen Pop-Intellektuellen, die jetzt streng wissenschaftlich ihrer verpassten wilden Zeit nachspüren, haben etwas groteskes und ihre Bezugspunkte sind teilweise mehr als lächerlich. Wer hat auf welcher Popkomm mit diesem und jenem Sänger einer Popgruppe mal drei Worte gewechselt. Wen interessiert das? Punk war darüber längst hinweg und Techno hat dieses devote Hochgucken zu den Stars auch nicht wirklich rausgekehrt. Und weil das so ist, gab es in den 90ern eben mal keine Jugendbewegung und das war ja auch ganz gut so. (Ihr hättet aber natürlich bei der APPD einsteigen können!) Man kam sich wieder näher und konnte scheißen auf den Quatsch. Der neue Kick kam aus dem Osten und ohne die kompromißlose Durchsetzungskraft gewisser Ossis und diverser Hausbesetzer hätte es das schöne Paradies in Mitte sowieso nicht gegeben. Letztendlich lief da ja auch sehr viel politische Praxis in kürzester Zeit, aber das hat nur eine Minderheit bewegt, die vor 1989 politisiert worden ist. Danach war ja alles so schön einfach und die Strukturen liefen wie geschmiert. Wer sich dann ab 1995, als den relevanten illegalen Clubs die Übergangsverträge ausliefen, ins gemachte Netz gesetzt hat und bei Milchkaffee, Flokati-Deko und Cocktail einen neuen "Style" gefeiert hat, darf inzwischen getrost als Kriegsgewinnler gelten. Viele sehen das natürlich anders und schreiben deshalb ihre eigenen Geschichten. Dieser neumodische Berlin-Roman der Abteilung "Pop-Literatur" ist längst ein Klischee für sich und zeichnet dem Menschen des 23.Jahrhunderts ein merkwürdiges Bild dieser Zeit und dieser Stadt. Massen von ambitionierten Mitgliedern der sogenannten "Pop-Intelligenz" zieht es trotzdem weiter in die Hauptstadt um mit gespitztem Bleistift in Straßencafes zu hocken. Heerscharen sitzen da auf der Stange und schreiben Romane über ihre Ex und wie wild es mal wieder am Prenzlauer Berg zugegangen ist. Den kalten Krieg haben neuerdings ja auch die Amis durch ihren toll kompromißlosen Druck während dieser Zeit gewonnen. In Wirklichkeit war immer alles doch ganz anders, aber die Geschichtsschreibung interessiert sich nur für Popstars, Zahlen, Schlachten und wer mit wem im Bett war. Und so werden die artigen Rotznasen, die Benjamin von Stuckenborstel 1.) für eine tollen Schriftsteller und 2.) für einen interessanten Prominenten halten, irgendwann den hinteren Teil der Chroniken des 20.Jahrhundert mit allerlei halbgarem Zeug vollschreiben. "Stuckie" wird dann der neue Karasek und erzählt jeden Sonntag neu wie er mal mit Oasis irgendwo gekokst hat und daß das total lustig war (dieser Film zum Buch vom Benjamin der Deutschen Literatur soll ja übrigens grottigster Mist sein!) Bei der Linken will aber trotzdem niemand mehr so richtig mitmachen, aber dafür bieten die Kirchen jetzt reichlich Event-Kultur. Mit Nena und Hannes Wader gegen den Krieg. Auch nicht schlecht, aber gewissermaßen ein Rückschritt in eine Zeit als man es nicht besser wusste und noch nicht so viel politische Praxis hatte.
by tommyblank, 12:53h
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"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))
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