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Wednesday, 23. October 2002
MUSIK:
Kettcar - Im Bus mit Marcus Wiebusch Nach dem Fight bleibt das nüchterne Gefühl, daß man nichts dagegen tun kann, daß man tut was man so tut und glaubt zu wissen wofür es sich zu sterben lohnt. Meist ist das ja nicht mal besonders viel. Für ein kleines bischen Ehre diese Tritte in die Magengrube deiner Würde. Der Nullpunkt. Man guckt nach oben und wundert sich, was der Schädel alles aushält während man seine Zähne befummelt. Wieder mal gut gegangen. Man sollte sich erstmal den anderen Typen ansehen, hä, hä... Man kannte die gute Gewalt, die offiziell sanktionierte Gewalt korrekter Befreiungs-Bewegungen, die irgendwie links rüberkamen. Nicht wirklich Realität, aber doch irgendwie vertraut. Die tapferen Zapatisten in Mexiko , schon irgendwie cool. Aber richtig auf die Fresse tut ganz anders weh. Marcus Wiebusch kommt ein wenig in's Plaudern während er den Tourbus der kanadischen Power-Rocker Propagandhi irgendwo zwischen Italien und Spanien die verregnete Cote D'Azur runterjagt. "Richtig peitschen" nennt er das und man weiß eigentlich nie genau ob er gern Auto fährt oder der Job einfach nur immer an ihm hängen geblieben ist weil er mit Menschen in Bands spielte, die keinen Führerschein hatten.
Nur in Süd-Italien hatte man uns verladen. "Kein Hotel" hieß es nach der Show und so wurden wir mitten in der Nacht zu einem ominösen Pennplatz an der äußersten Stiefelspitze geführt. Wir hörten unterwegs wieder die neue "Kettcar".
Nach über 40 Minuten Fahrt setzte der Ortskundige irgendwo seine Freundin ab und verabschiedete sich auf dem Hacken mit einem "uno momento". Er ließ uns um 5.30 morgens einfach vor irgend einem dunkelen Haus stehen. Als Marcus ausstieg und ein sehr intensiver Tag damit zu Ende ging, daß man uns nachts im Schoße der Mafia aussetzte, schaltete sich sofort die kollektive Wahrnehmung im Bus ein.
Niemand mußte es aussprechen, aber alle wussten, daß wir so schnell wie möglich weg wollten. Das Kollektiv wollte weg und nicht erst überlegen ob es unhöflich den Leuten gegenüber ist, die womöglich irgendwo in diesem dunkelen Haus gegenüber mit warmen Bettchen auf uns warten. Wir hatten nicht einmal einen Namen um jemanden wach zu klingeln und irgendwie fühlte das Kollektiv, daß Marcus womöglich denken könnte, daß die Band denken könnte, daß man es ja versuchen müßte wegen Höflichkeit und Szene und so. Erstaunlich wie schnell der Kopf verarbeitet. Morgens waren wir noch in Rom gewesen, waren dann 576 km durch Italien nach Lecce gefahren, hatten mit dem Veranstalter Lorenzo und seinen Kumpels Fußball gespielt, wobei die deutsch-kanadische Auswahl heldenhaft siegte und die Azzurros uns vieleicht deshalb nicht so richtig gesonnen waren.
"You can rearrange my face, but you can't rearrange my mind." Ja, es gibt Veranstalter, die das mühsam gebaute Netzwerk der gut draufen Leute für ihre hinterhältigen Selbstbereicherungspläne nutzen und auch die heiligen, heiligen Propagandhi bei Eintritts-Prozente-Deals um ihre Kohle bescheißen. Menschen erschießen andere Menschen im Kongo und niemand sieht hin weil Banken und Konzerne munter abkassieren. Das entsetzt Marcus und er kokettiert dann gelegentlich mit einem kindlichen Willen zur Unschuld.
"Als ob wir anders wären", singt er auf der neuen Kettcar und thematisiert damit die emotionale Mutation, die ihm scheinbar nicht nur an ihm selbst aufgefallen ist. Da ist also doch irgendwas von dem gegangen, was die sensibilisierten WG-Revolutionäre der frühen 90er mal ausgeheckt haben. Seine Motive waren nobel; hatte doch ein stark angeheiterter Grobian die Damen in seiner Begleitung unflätig belästigt. Aber die Lage wurde schnell unübersichtlich und gipfelte darin, daß der baumlange Marcus den Aggressor ungefähr 20 cm über dem Boden an die Wand drückte und eine Form von Gewalt androhte, die er bis dato nicht mal als Drohung gebraucht hatte. Kettcar haben nichts von der Suche nach einer neuen linken Identität zu tun, die ...But Alive auf ihren vier Alben skizziert haben. Sie suchen auch nicht die Nähe zum Punk. Marcus ist immer noch verdammt gut bei dem was er macht. Und er weiß auch ganz genau was er macht und spielt mit den Worten bis sie auf dem Papier richtig sitzen. Und man kennt "den Plan, als man damals nach Hamburg kam", wenn man auch nie dort gewohnt hat. Die Sache mit dem Nullpunkt und der Notaufnahme. "Menschen, die Montags zu Elliot Smith und Dienstag zu Fugazi gehen, um sich Mittwochs im Proberaum zu treffen."
Es rockt an zwei Gitarren, einem Bass, und je ein mal Drums und Piano. Lange habe ich keine CD mehr so oft hintereinander gehört. Wieder dieser Bus. Ich hörte die CD zum ersten mal auf dem Weg von Hamburg zum Frankfurter Flughafen. Unterwegs entfaltete sich der Sound besonders schön, wenn man schön fette Boxen wie im guten, alten Highway-Tiger hat. Es war nur nicht der richtige Augenblick der Aufnahmebereitschaft, Marcus. Wer will schon DJ sein und dauernd fliegen müßen?! Immer die Autobahn runter und ein Königreich forever. Aber, that's what we do. Als ob wir anders wären.
Das Hamburger Kombinat von Tomte, Kettcar, B.A.Records und den kanadischen Weakerthans hat geheiratet und veröffentlicht besagte Bands auf einem neuen Label. Damit ist B.A.-Records mehr oder minder aufgelöst.
Die Verhandlungen der Band mit diversen Mayors waren wohl nicht so dolle!
by tommyblank, 22:43h
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Übersetzung:
"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))
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