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Friday, 19. January 2007

MOVIES:

MEIN FÜHRER, DEIN FÜHRER

Obwohl das Geschrei laut genug war, scheint den Film bisher kaum jemand gesehen zu haben. Wäre nicht Helge Schneider als Hitler besetzt worden, hätten sich die Deutschen womöglich nicht ganz so sehr erregt, aber Hitler liegt dem Lande immer noch am Herzen.

Wer sich nicht wieder mal alles an die Öffentlichkeit gedrängt hat um die Fernsehapparate mit Schaum zu füllen. Man befürchtete allerseits, dass Schneider aus Adolf Hitler eine Witzfigur machen würde. Vertreter der jüdischen Gemeinden fürchteten sich ebenso wie Nazis und die üblichen Bedenkenträger, die sowieso zu allem, was zu sagen haben, wenn die Kameras erst laufen. Man wollte sein geliebtes Schreckgespenst nicht der Lächerlichkeit preisgegeben sehen. Guido Knopp füllte pro forma schon mal einen Hartz IV-Antrag aus. Irgendwann verstummte das Geschrei und man wendete sich wichtigeren Medien-Ereignissen zu, ziemlich genau zu dem Zeitpunkt als der Film letzte Woche in die Kinos kam und von der Bevölkerung eher achselzuckend belacht wurde. Das Publikum gab sich entspannter und aufgeklärter als alle bezahlten Bedenkenträger zusammen. Eine Hitler-Komödie, so fucking what?

Hieraus ergibt sich, dass man mit Hitler immer noch Kasse machen und Zeitschriften verkaufen kann, Helge Schneider im Vorfeld als Schauspieler nicht ernst genommen wurde, gewisse Leute, die kulturell nicht mehr viel mitkriegen, meinen, ein Monopol auf die Hitlerei zu haben und die Deutschen allgemein ein ziemlich unentspanntes Verhältnis zum Humor an sich haben und immer noch gerne Sachen verbieten würden. Die Quersumme daraus ist ziemlich erschreckend.

Bleiben wir doch bei Helge Schneider, dessen Karriere seit Anfang der 90er ziemlich einmalig verlaufen ist. Viele Leute erwarteten mit "Mein Führer" einen Helge Schneider-Film und einen Hitler, der, absurde Lieder krähend, über die Leinwand taumelt. Schneider ist Jazz-Improvisation pur. Ob er Bücher schreibt, Interviews gibt oder auf der Bühne steht: an Helge Schneider ist so ziemlich alles Improvisation und dieser Mut, auch mal etwas zu versemmeln, hat ihn schon immer ausgezeichnet und seinen Humor so speziell gemacht. Für die meisten Hochkultur-Prediger im Land der Richter und Henker ist das harter Tobak weil echter Jazz mit dem deutschen Wesen nur schwierig zu vereinbaren ist. Der Deutsche ist gut organisiert und überlässt nix dem Zufall und schon gar nicht eine Komödie über Adolf Hitler. Wo man sich doch gerade so ausführlich an der Oscar-Nominierung für die episch angelegte Millionen-Dollar-Produktion "Der Untergang" gelabt hatte.

Dabei wurde hier und da auch über den "Untergang" gelacht weil die bierernste Machart der Eichinger-Produktion in den 60ern sicher willkommen gewesen wäre, aber heutzutage nur noch als bedenklich eingestuft werden kann. Männer wie Guido Knopp und Bernd Eichinger wissen um den kommerziellen Wert des übelsten Verbrechers der Weltgeschichte und "Der Untergang" war nichts anderes als eine Reißbrett-Produktion, die von ein paar fetten, reichen Münchenern geplant wurde um Geld zu verdienen. Guido Knopp dreht aus dem immer gleichen Material eine Edutainment-Serie nach der anderen, der "Spiegel" titelt immer wieder gern mit dem Gröfaz und im englischsprachigen Ausland ist der "History Channel" längst als "Nazi Channel" bekannt weil Nazis so schön böse sind und sowas gucken die Leute eben gern. Hitler ist längst wieder ein Millionengeschäft und die ganze Entwicklung brauchte einen Film wie "Mein Führer" um besagten Leuten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Charlie Chaplin hat bekannt, dass er den "Großen Diktator", den er auf eigene Rechnung produzierte, nie gedreht hätte, wenn er um die grauenvollen Realitäten gewusst hätte, aber der Film funktioniert auch heute noch mit eben diesem Wissen weil Chaplin Mut hatte und sich von den damaligen Bedenkenträgern nichts sagen lassen wollte.

Nun ist "Mein Führer" weit entfernt vom "Großen Diktator", aber für Deutschland funktioniert der Film und auch im Ausland, wo man Helge Schneider nicht kennt, dürfte die Klamotte ganz gut aufgenommen werden. Man fühlt sich an den Tag erinnert als Guildo Horn den Schlager Grand Prix gewann und die gesamte Nachkriegs-Verdrängungskultur aus Trulala und "Schön ist die Heide" mit den Mitteln der Parodie in die Tonne trat. "Darf so einer Deutschland vertreten", fragte sich seinerzeit die "Bild". Wenn man die Reaktionen im Vorfeld der Premiere von "Mein Führer" betrachtet, kann man hier durchaus Parallelen sehen.

Dani Levy und Helge Schneider parodieren vor allem die Hitler-Rezeption in Deutschland, die Art und Weise des Umganges mit der Nazi-Vergangenheit. Wenn der Film auch nicht zu 100% gelungen ist, wird dabei doch erstmals thematisiert, das man es bei Hitler mit einem drogensüchtigen Bettnässer mit Erektionsproblemen zu tun hatte. Und die entsprechende Szene ist natürlich eine Hommage an das Ende vom "Großen Diktator".

Die Ernsthaftigkeit, mit der die Diskussion um "Mein Führer" betrieben wird, zeugt davon, dass Levy den richtigen Nerv getroffen hat. Helge Schneider als Hitler ist die perfekte Besetzung und hinter der Maske kaum zu erkennen. Kompliment and die Regie, der die Arbeit mit dem Improvisationsgenie nicht immer leicht gefallen sein kann. Aber Schneider bringt das Quentchen Wahnsinn für die Rolle mit und der Rest auf der Besetzungsliste tut sein übriges. Die Darstellung des "Edel-Nazis" Speer im "Untergang" kann Levy gezielt zersetzen und auch sonst gefällt der subversive Ton, wenn der Humor auch stellenweise zu freundlich kommt. Man hat schon besser über den Führer gelacht. Aber wir haben es nicht mit einem Film aus dem Hause "Titanic" zu tun.

Jeder hat ein Recht, eine filmische Interpretation Hitlers abzuliefern und im Zweifelsfalle zu scheitern. Vermutlich ist Bully der nächste und auch ein MC Adolf als Comedian ist denkbar. Was soll dieses "darf man das"? Sind wir schon wieder soweit? Was soll das vorgeschobene Geschrei, dass man Hitler "vermenschlichen" will? Wie lange will man dem Mythos vom unnahbaren, unfehlbaren, allgegenwärtigen Hohepriester noch auf den Leim gehen? Was soll das mit dem hilflos hypnotisierten Volk, das "verführt" wurde? Hitler kam nicht vom Mars und die Verbrechen der Nazis wurden von Menschen aus Fleisch und Blut begangen. Das Abdriften in die überhöhte Mythenwelt von Guido Knopp & Co ist nur wenig hilfreich um "etwas zu verstehen, was wir nie verstehen werden", wie es am Ende von "Mein Führer" heißt.


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 7974 days.

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Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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