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Sunday, 11. September 2005

POLITIK:

Der Präsident ist tot

In all den Geschichten über New Orleans lesen wir immer wieder von der großen Leichtigkeit in der Wiege amerikanischer Kultur. Mardi Gras, der Big Easy-Karneval, gehört zum puritanischen Selbstverständnis der USA wie der Führungsanspruch der Theaterbühnen im Big Apple. New Orleans war für die Sünde zuständig und nicht nur Bush Junior hat sich dort die Hörner abgewetzt. Voodoo, Gumbo, Blue Bayou. Gern erinnert man an den augenzwinkernd romantischen Spielfilm "The Big Easy" und auch sonst zählt die Presse Filme auf, die die europäische Vorstellung von New Orleans geprägt haben. Dabei vergisst man gern einen Film, der ebenfalls in dieser Stadt spielt und einige der authentischsten Bilder aus dem Sündenpfuhl zu bieten hat: "JFK - Tatort Dallas", der inzwischen für ten bucks als "Directors Cut"-Doppel-DVD auf den Grabbeltischen der Medienmärkte zu haben ist. Sie haben ihn alle längst vergessen, den jungen Präsidenten, der seine Truppen aus Vietnam zurückpfiff als er erfuhr, dass ihn seine Geheimdienste über die tatsächliche Situation vor Ort belogen hatten.

Regisseur Oliver Stone konnte sich auf einen Insider verlassen als er an "JFK" arbeitete. Sein "Deep Throat" ging nach dem Filmstart an die Öffentlichkeit und unterhält heute eine Website mit neuem und altem Material aus erster Hand. Nach dem 11. September 2001 schien auch Colonel L. Fletcher Prouty keine große Lust mehr auf weitere Updates zu haben. Der militärisch-industrielle Komplex, vor dem der scheidende Präsident Eisenhower in seiner berühmten Abschiedsrede gewarnt hatte, saß fester im Sattel als man es hätte befürchten können. Der Tod von John F. Kennedy erschien klein und popelig gegen die Verdachtsmomente bei der Untersuchung der Anschläge vom 11. September.

Die Öffentlichkeit durfte längst sowieso davon ausgehen, dass Kennedy nicht von Lee Harvey Oswald ermordet wurde. Der Film von Oliver Stone hatte neue Untersuchungen nach sich gezogen. Nun hat man handfeste Beweise für die Theorie des Bezirkstaatsanwalts Jim Garrison aus New Orleans. Nein, Oswald ist es nicht gewesen, ja, der tödliche Schuß kam von vorn, ja, das FBI hat die Presse bedroht, gekauft und bestochen, ja, ja, es muss wohl eine Verschwörung gegeben haben. Schockierende Details über das verlorene Gehirn Kennedys und wie man am 22. November 1963 die Autopsie verhindert hat. Eine Woche später, am 2. Dezember 1963, unterschrieb McNamara für die Fortsetzung des Vietnamkriegs. Martin Luther King und Robert Kennedy fielen weiteren Kugeln von "fehlgeleiteten Attentätern" zum Opfer. Niemand war direkt verantwortlich, aber die Störenfriede waren verschwunden.

WHAT IS PAST IS PROLOGUE

Mit Ronald Reagan zog auch Bush Senior von der CIA ins Weisse Haus. Das Ausschalten der Verfassung und die Ausweitung eines Krieges gegen die Opposition im eigenen Lande war im Handumdrehen gemacht. Reagan installierte Louis Giuffrida, einen kalten Krieger aus alten Zeiten, als Chef von FEMA. Unter dem Deckmantel, sich um Maßnahmen gegen Naturkatastrophen zu kümmern, entwickelte man Strategien, dem Feind im Inneren zu bekämpfen. Andersdenkende wurden als Feind betrachtet und im Zweifelsfalle drohte ihnen ein unbegrenzter Aufenthalt in einem FEMA-Internierungslager. George Bush Senior, Oliver North und Louis Giuffrida entwickelten prima Pläne im Kampf gegen "domestic terrorism", hatten an der Heimatfront allerdings nicht viel zu kämpfen. So stürzte man stattdessen unbequeme Regierungen und ließ die Air America Drogen durch die Welt fliegen. Reagan musste irgendwann auch öffentlich zugeben, Alzheimer zu haben. Die Regierungsgeschäfte führte King George I, der später auch selbst für eine Amtszeit den Übervater der Welt geben durfte.

Im Iran-Contra-Skandal wurde deutlich, mit welcher Größenordnung von Verbrechen die US-Regierung inzwischen davonkam, wenn es nur dem Kampf gegen Terroristen oder so diente. Eine Regierung, die einen "War on Drugs" propagandierte, war beim Drogenhandel im ganz großen Stil erwischt worden. Bewaffnete Freischärler mit Drogengeldern finanzieren um einen anderen Machthaber zu stürzen und sein eigenes Territorium zu erweitern? Sie würden denken, man hätte dem Präsidenten für das Ausweisen von Mafiamethoden als politische Strategie mit dem Finger gedroht? Ach was, diente ja dem Kampf gegen irgendeinen Schurkenstaat, der die USA mit schrecklichen Waffen bedroht. Nur der Republikaner Jack Brooks aus Texas fragte in den Anhörungen zumindest mal nach, was denn überhaupt an dieser Sache mit den Internierungslagern für unbequeme Mitbürger dran wäre. Die Presse würde schon was von Konzentrationslagern schreiben. "Not to be touched upon," unterbrach die Aufsicht das Verhör des Angeklagten Oliver North. Ging die Öffentlichkeit nichts an.

Fortan konnte die Regierung machen, was sie wollte. Man wunderte sich über nichts mehr. Auch die ganze Sache mit dem World Trade Center war nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Als die "New York Times" berichtete, dass das FBI von einem Anschlag gewusst und bewusst nicht reagiert hatte, wunderte selbst das niemanden mehr. Wer profitierte davon, war die Frage. Das war am 28. Oktober 1993 und die Türme standen noch.

Die Öffentlichkeit hatte aber immer noch nicht soviel Angst, dass sie den teuflischen Pläne der Drahtzieher bis zur letzten Konsequenz folgen würde. Flog also in Oklahoma City auch was in die Luft. Wieder gab es da einen irren Einzeltäter, den man dann öffentlichkeitswirksam exekutierte. Erneut waren Warnungen von Insidern ignoriert worden. Wieder versteckte die Regierung den rauchenden Colt hinter dem Rücken, aber der Rauch war nicht zu übersehen. Bill Clinton ließ die erste Version des Patriot Acts entwickeln und die alten Strategien wurden fortgesetzt. Bush Junior brauchte die Vorlage nach dem 11. September nur noch aus der Schublade ziehen.

Nichts ist mehr wie vorher!

Das FBI hatte eine Beteiligung am ersten Anschlag auf das World Trade Center also zugegeben! Die Medien mochten nicht so gern darüber sprechen, aber die Akten sind öffentlich und die "New York Times" ist nicht irgendein Hinterwäldlerblatt für Menschen, die sowieso schon alles oder nichts glauben. "Iran-Contra", redet heute niemand mehr von. Südamerika, naja, Folter ist irgendwie unfein, aber wenn es nicht anders geht. Air America, hey, cooler Film! Und dann die Sache mit Kennedy, der von seinen Geheimdiensten verraten und getötet wurde. Auch ein cooler Film, der 15 Jahren nach Entstehung allerdings wahnsinnig unschuldig wirkt. Wie Kevin Costner da als Jim Garrison durch die Straßen von New Orleans marschiert und Oliver Stone ihn vor Ort erklären lässt, was "The Big Easy" mit dem Mord an Kennedy zu tun hat.

New Orleans war das Tor nach Südamerika und Basislager für die verdeckten Operationen gegen Kuba. Auf einer Kreuzung mitten in der Stadt liefen die Fäden aller geheim operierenden Dienste zusammen und in ihrer Mitte fand sich zeitweise auch ein junger Mann namens Lee Harvey Oswald, der nicht wusste, welche Rolle man ihm zugedacht hatte. All das ist Hollywood-Mythos und Oliver Stone litt auch mit seinem "Nixon"-Film darunter, dass man seine sauberen Recherchen als "Spielfilm" abtat. Auch seinem angekündigten Film über den 11. September wird vermutlich ein ähnliches Schicksal beschieden sein.

Die Phantasie ist soweit in die Realität eingedrungen, dass nun alles möglich scheint. "Manufaktur von Konsens," nannte Noam Chomsky die Verstrickung von Medien, Mafia und Machern. Ja, die Presse hängt mit drin. "Die Medien gehören denen, die darin ihre Werbung laufen haben," wusste schon Frank Zappa. Und warum gibt es eigentlich Menschen, die glauben, nach dem Mord an John F. Kennedy sei das alles irgendwie besser geworden? Wegen der Untersuchung, die nicht stattgefunden hat, oder warum? Woher diese Sicherheit der bürgerlichen Welt, die sich über die APPD entsetzt weil sie von den Pogo-Anarchisten eben nicht belogen wird ?

Wenn die Sicherheit des Lügengebäudes angegriffen wird, treten die Ordnungsmächte auf den Plan und zeigen, wer das Monopol auf Gewalt hat. Unbequeme Aufklärer wie der unermüdliche Alex Jones lassen sich leicht als Spinner diskreditieren. So wird die gute Arbeit, die Jones tatsächlich macht, an seiner Vorliebe für die Bohemian Grove-Story gemessen. Diese ist tatsächlich wackelig, aber Typen wie Jones sind gut im Sichten und Sortieren von Quellen, wenn sich ihre Interpretationen auch teilweise nach Dan Brown anhören. Hatte die US-Regierung nicht eigentlich selbst eine Untersuchung zu 9/11 angeordnet, wie auch im Falle JFK... Warum werden die Quellen dann von Alex Jones sortiert?

Wenn man sich die TV-Bilder von Gebäude 7 ansieht, kann man an nichts anderes als an eine gezielte Sprengung glauben, scheint es. Kein Flugzeug hatte das kleinere Gebäude der Anlage getroffen und es zerfiel wie bei einer ordnungsgemäßen Sprengung. War ja auch das örtliche CIA-Hauptquartier. Vielleicht hatten die Brüder Angst, die Terroristen kommen...

Projekt Chaos. Die Pixies spielen "Where is my mind?". Die Häuser stürzen ein. Die Stimme von Frank Black nöhlt sich durch das Finale von "Fight Club". Der Held umarmt die Heldin. "Wir haben uns zu einem verdammt ungünstigen Zeitpunkt getroffen," sagt er. Das Publikum raucht noch eine Zigarette und geht danach heim.


ID - Stefan Ernsting - I have two books out, I work on cool movies and I've been blogging for 8178 days.

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Übersetzung:
David Wojnarowicz
Closes to the Knives

(Mox und Maritz Verlag)

"Von Stefan Ernsting hervorragend übersetzt." (Bayrischer Rundfunk))

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